Die Fünfundvierzig
Ernauton kalt.
Die Unbekannte stürzte nach einem Glöckchen, das sie beinahe zerbrach, so heftig war der Schlag, den sie darauf tat.
Der Klang ertönte scharf durch alle Gemächer, und ehe das Schwingen aufgehört hatte, fragte der Diener: »Was will Madame?«.
Die Unbekannte stampfte wütend mit dem Fuß und rief: »Mayneville, ich will Mayneville. Ist er denn nicht hier?« – »Doch, gnädige Frau.«
»Er komme also!«
Der Bediente eilte aus dem Zimmer; eine Minute nachher trat Mayneville hastig ein.
»Zu Euren Befehlen, Madame,« sagte Mayneville.
»Madame, seit wann nennt man mich schlechtweg Madame, Herr von Mayneville?« rief die Herzogin außer sich.
»Eurer Hoheit zu Befehl!« sagte Mayneville und verbeugte sich, im höchsten Maße erstaunt.
»Es ist gut!« sagte Ernauton, »denn ich habe mir gegenüber einen Edelmann, und wenn er mich belügt, so werde ich, beim Himmel! wenigstens wissen, an wen ich mich zu halten habe.«
»Ihr glaubt also endlich?« versetzte die Herzogin.
»Ja, gnädige Frau, ich glaube, und zum Beweis übergebe ich Euch hiermit den Brief.«
Und der junge Mann verbeugte sich und überreichte Frau von Montpensier den so lange streitig gemachten Brief.
Der Brief des Herrn von Mayenne.
Die Herzogin bemächtigte sich des Briefes, öffnete ihn und las gierig, ohne daß sie nur die Eindrücke zu verbergen suchte, die sich auf ihrem Antlitz wie Wolken auf dem Grunde eines stürmischen Himmels folgten.
Als sie geendigt hatte, reichte sie Mayneville, der ebenso unruhig war wie sie, den Brief; und er las folgendes:
»Meine Schwester, ich wollte selbst das Geschäft eines Leutnants oder eines Fechtmeisters besorgen und bin dafür bestraft worden.
»Ich habe einen guten Degenstich von dem bewußten Burschen bekommen, mit dem ich schon so lange in Rechnung stehe. Das schlimmste ist, daß er mir fünf von meinen Leuten getötet hat, worunter Boularon und Desnoises, d. h. zwei von meinen Besten; wonach er entflohen ist.
»Ich muß sagen, daß er bei diesem Siege bedeutend von dem Überbringer des Gegenwärtigen unterstützt worden ist, einem reizenden jungen Mann, wie Ihr sehen könnt; ich empfehle ihn Euch; er ist die Diskretion selbst.
»Ein Verdienst, das er, wie ich annehme, bei Euch, meiner vielgeliebten Schwester, haben wird, besteht darin, daß er den Sieger abgehalten, mir den Kopf abzuschneiden; dieser hatte große Lust dazu, da er mir, während ich in Ohnmacht lag, die Larve abriß und mich erkannte.
»Meine Schwester, ich ersuche Euch, den Namen und die Stellung des so diskreten Kavaliers zu entdecken; er ist mir verdächtig, während er mich zugleich interessiert. Auf alle meine Dienstanerbietungen begnügte er sich zu erwidern, der Herr, dem er diene, lasse es ihm an nichts fehlen.
»Ich kann Euch nicht mehr über ihn sagen, denn ich sage Euch alles, was ich weiß; er behauptet, er kenne mich nicht. Beachtet dies wohl!
»Ich leide sehr, doch ich glaube ohne Lebensgefahr. Schickt mir schnell einen Wundarzt; ich liege wie ein Pferd auf Stroh. Der Überbringer wird Euch den Ort nennen.
Euer wohlgewogener Mayenne.«
Sobald die Herzogin und Mayneville diesen Brief gelesen hatten, schauten sie einander gleich erstaunt an.
Die Herzogin brach zuerst das Schweigen, das am Ende von Ernauton übelgedeutet worden wäre.
»Wem haben wir den ausgezeichneten Dienst zu verdanken, den Ihr uns geleistet, mein Herr?« fragte die Herzogin. – »Einem Manne, der, sooft er kann, dem Schwächeren gegen den Stärkeren beisteht, Madame.«
»Wollt Ihr mir Näheres erzählen?«
Ernauton erzählte alles, was er wußte, und bezeichnete den Ort, wo sich der Herzog aufhielt. Frau von Montpensier und Mayneville hörten ihm mit leicht begreiflichem Interesse zu.
Als er geendigt hatte, fragte die Prinzessin: »Darf ich hoffen, mein Herr, daß Ihr das so gut Begonnene fortsetzen und Euch unserem Hause anschließen werdet?«
Mit dem anmutreichen Tone ausgesprochen, dessen sich die Herzogin bei Gelegenheit so gut zu bedienen wußte, enthielten die Worte nach dem Geständnis, das Ernauton der Ehrendame der Herzogin getan hatte, einen sehr schmeichelhaften Sinn; doch der junge Mann ließ alle Eitelkeit beiseite und führte die Worte auf ihre Bedeutung als den Ausdruck reiner Neugierde zurück.
»Madame,« sagte Ernauton endlich nach einem schweren Kampfe zwischen Liebe und Ehre, »ich habe schon die Ehre gehabt, Herrn von Mayenne zu sagen, mein Herr sei ein guter Herr und überhebe mich durch die
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