Die Fünfundvierzig
Steigbügel festgehalten und schwamm in der Höhe des Sattels.«
»Großer Gott!« rief Henri.
»Großer Gott!« murmelte Remy, der bei den Worten des Grafen »und der Herzog!« aufgestanden war, die Erzählung gehört hatte und rasch nach seiner bleichen Gefährtin blickte.
»Und dann?« fragte der Graf.
»Ja, dann?« stammelte Remy.
»Nun! bei dem Wirbel, den das Wasser an der Ecke dieses Dammes bildete, wagte sich einer von meinen Leuten vor, um die schwimmenden Zügel des Pferdes zu ergreifen; er erreichte es und hob das tote Tier in die Höhe. Wir sahen nun den weißen Stiefel und den goldenen Sporn, den der Herzog trug, erscheinen. Noch in demselben Augenblick schwoll das Wasser an, als wäre es entrüstet, sich seine Beute entreißen zu sehen. Mein Gendarm ließ das Pferd los, um nicht fortgerissen zu werden; alles verschwand. Wir werden nicht einmal den Trosthaben, unserem Prinzen ein christliches Begräbnis zu geben.«
»Tot! er ist auch tot! der Erbe der Krone, welch ein Unglück!«
Remy wandte sich gegen seine Gefährtin um und sagte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck: »Ihr seht, Madame, er ist tot.«
»Der Herr sei gelobt, daß er mir ein Verbrechen erspart,« erwiderte sie, indem sie zum Zeichen des Dankes die Augen und die Hände zum Himmel erhob.
»Ja, doch er entzieht uns die Rache,« erwiderte Remy.
»Gott hat stets das Recht, sich zu erinnern. Die Rache gehört nur dann dem Menschen, wenn Gott vergißt.«
Der Graf sah mit Schrecken die Aufregung dieser seltsamen Menschen, die er vom Tode errettet hatte; er beobachtete sie und suchte sich vergebens, um sich eine Idee von ihren Wünschen und Befürchtungen zu machen, ihre Gebärden und den Ausdruck ihrer Miene zu erklären.
Die Stimme des Fähnrichs entriß ihn seiner Betrachtung.
»Doch Ihr selbst, Graf,« fragte dieser, »was gedenkt Ihr zu machen?«
Der Graf bebte.
»Ich?« sagte er.
»Ja, Ihr?«
»Ich werde hier warten, bis der Körper meines Bruders an mir vorüberkommt,« erwiderte der junge Mann im Tone düsterer Verzweiflung; »dann werde ich ihn auch an das Land zu ziehen suchen, um ihm ein christliches Begräbnis zu geben, und, glaubt mir, wenn ich ihn einmal habe, verlasse ich ihn nicht mehr.«
Diese finsteren Worte wurden von Remy gehört, und er richtete an den jungen Mann einen Blick voll liebevoller Vorwürfe. Die Dame aber hörte nicht mehr, seitdem der Fähnrich den Tod des Herzogs von Anjou verkündigt hatte, sie betete.
Verklärung.
Nachdem sie gebetet, erhob sich Remys Gefährtin so schön und strahlend, daß dem Grafen ein Ausruf des Erstaunens und der Bewunderung entschlüpfte. Sie schien aus einem langen Schlafe zu erwachen, dessen Träume ihr Gehirn ermüdet und die Heiterkeit ihrer Züge gestört hatten, aus einem bleiernen Schlaf, der der feuchten Stirn des Schläfers die eingebildeten Qualen seines Traumes aufprägt.
Aus dieser Erstarrung sich lösend, ließ die junge Frau einen so sanften, so milden Blick, einen Blick voll so engelhafter Güte erstrahlen, daß sich Henri, leichtgläubig wie alle Liebende, einbildete, er sehe, wie sie endlich von seinen Leiden erweicht werde und einem Gefühle, wenn nicht des Wohlwollens, doch wenigstens der Dankbarkeit und des Mitleids nachgebe. Er trat zu der jungen Frau und sprach mit einer so tiefen und so sanften Stimme, daß es das Gemurmel des Windes zu sein schien: »Edle Frau, Ihr lebt! Oh! laßt mich Euch die Freude aussprechen, die aus meinem Herzen überströmt, da ich Euch hier in Sicherheit sehe, nachdem ich Euch dort auf der Schwelle des Grabes gesehen.«
»Es ist wahr, mein Herr,« erwiderte die Dame, »ich lebe durch Euch; und,« fügte sie mit einem traurigen Lächeln hinzu, »und ich möchte Euch sagen können, ich sei dankbar.«
»Nun, Madame,« sagte Henri mit einer erhabenen Anstrengung der Liebe und der Selbstverleugnung, »wenn es mir nur gelungen wäre, Euch zu retten, um Euch denen zurückzugeben, die Euch lieben.«
»Was sagt Ihr?« fragte die Dame.
»Denen, zu denen Ihr Euch durch so viele Gefahren begeben wolltet.«
»Mein Herr, die Menschen, die ich liebte, sind tot; die, zu denen ich mich begeben wollte, sind es auch.«»Oh! Madame,« flüsterte der junge Mann, indem er sacht auf seine Knie sank, »werft Eure Augen auf mich, der ich so viel gelitten, auf mich, der ich Euch so sehr geliebt. Oh! wendet Euch nicht ab, Ihr seid jung, Ihr seid schön wie ein Engel des Himmels. Lest in meinem Herzen, das ich Euch öffne, und Ihr werdet
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