Die Fuenfzig vom Abendblatt
hatte mit einer für sein Alter überraschenden Frische und Lebhaftigkeit gesprochen. Als er sich jetzt wieder in seinen Sessel niederließ, erhob sich allgemeiner Beifall.
Der Allgewaltige forderte nun auch die übrigen Hauptschriftleiter und Abteilungsleiter auf, sich zu der augenblicklichen Situation zu äußern.
Und wenn auch der eigentliche Inhalt und das Thema der jetzt einsetzenden Diskussion die drei Jungen in ihren roten Abendblatt-Pullovern weiter nicht interessierte und ihnen sogar teilweise unverständlich blieb, so verfolgten sie doch mit unverhohlener Spannung den Verlauf der Konferenz.
Jeder dieser Männer hier war Chef und Vorgesetzter seiner Abteilung und eine Persönlichkeit auf seinem Arbeitsgebiet. Die Meinungen und Ansichten, die sie äußerten, gingen teilweise auseinander. Wie sie am Ende aber trotzdem immer wieder zusammenfanden, wie der Allgewaltige immer wieder die einzelnen Redner zusammenführte, das bereitete selbst den drei Vertretern der Horde Vergnügen. Und Alibaba dachte sich heimlich, daß er diese Art der Aussprache auch bei seinen Jungen einfuhren sollte. Er wollte sich bemühen, im kleinen so etwas Ähnliches zu werden, wie es hier im großen der Allgewaltige war.
Die Konferenz näherte sich ihrem Ende. Der Allgewaltige hatte soeben in einem Schlußwort nochmals die Richtung aufgezeigt, die in Zukunft für das Abendblatt maßgebend sein sollte.
Als Alibaba eine gute halbe Stunde später auf seinem Fahrrad saß und mit der neuesten Nummer des Abendblattes die Hafenchaussee hinauffuhr, ärgerte er sich über all die Nachtexpreß-Plakate mehr denn je. Jede dieser schreienden Papierflächen wirkte auf ihn wie ein rotes Tuch auf den Stier.
„Lest den Nachtexpreß!“
„Der Nachtexpreß, Deine Zeitung!“
„Am Abend den Nachtexpreß!“
Wirklich, dabei konnte einem die beste Laune zum Teufel gehen. Und dann noch dieses eingebildete Gesicht von Bulle! Am Großen Stern begegnete er ihm. Der Kerl saß auf seinem Fahrrad wie auf einem Thron und so, als hätte er den ganzen Reklamefeldzug des Nachtexpreß aus seiner eigenen Tasche bezahlt.
Alibaba tat so, als hätte er ihn gar nicht gesehen, und dann nach einer Weile schnalzte er wütend mit der Zunge. Das klang, als hätte er mit der flachen Hand den Patentverschluß einer Bierflasche aufgeschlagen.
Es wäre jetzt nach seiner Meinung viel besser gewesen, etwas Ordentliches zu unternehmen.
Zum Beispiel könnte man nachts mit roter oder weißer Ölfarbe auf alle Trottoirs malen: „Der Nachtexpreß lügt“.
Aber dieses Mal begriff Alibaba, daß er sich und die Horde zwingen mußte, den Mund zu halten und vorerst zu tun, als seien alle diese Nachtexpreß-Plakate Luft. Nichts als Luft.
Vielleicht war es im Augenblick nur einer von den Abendblatt-Jungen, dem das verhältnismäßig leichtfiel. Ganz einfach, weil er im Augenblick genug anderes im Kopf hatte.
Harald flitzte gleich nach der Redaktionskonferenz in seinem roten Pullover aus dem Hof und die Hansemannstraße hinauf.
Draußen hatte eine 250er DKW gewartet. Sie folgte dem Jungen in einem Abstand von etwa zweihundert Metern. Der Fahrer des Motorrads, der einen grauen Gummimantel trug, mußte die Maschine ziemlich drosseln.
Harald hatte einen Blumenstrauß vor sich auf der Lenkstange liegen, und aus seiner linken Tasche schaute das Ende einer Leberwurst. Sie schien für das weiße Papier, in das sie eingepackt war, zu groß gewesen zu sein.
Harald fuhr in Richtung der Siedlungen, zur Warnemünder Straße, Nummer 14, dritter Stock.
In der Warnemünder Straße 14 aber wohnte Inge Remo. Zusammen mit ihrem Bruder. Harald hatte diese Adresse durch jene Visitenkarte erfahren, die ihm Inge seinerzeit bei der Eröffnung des Lunaparks gegeben hatte. Und diese Visitenkarte war seitdem nicht mehr aus seiner Brieftasche verschwunden.
Harald war auch heute wieder ziemlich spät nachts nach Hause gekommen. Wieder hatte er bis nach Mitternacht beim Hinterhof des Nachtexpreß auf einem Mauervorsprung gesessen — ---
Wenn er jetzt auf seinem Fahrrad saß. anstatt ein paar Stunden Schlaf nachzuholen, dann hatte das seinen Grund. Es ging nicht darum, den Remos nur einen Anstandsbesuch zu machen. Auch Höflichkeit hat ihre Grenzen.
Die Blumen hatte Harald nur bei sich, weil er wußte, wie peinlich es immer ist. wenn man jemand nach so langer Zeit zum ersten Mal wieder gegenübersteht. Und dann — vielleicht freute sich Inge Remo über den weißen Flieder ein klein wenig.
Was die
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