Die Fuenfzig vom Abendblatt
Italieners war in aller Munde. Während man sich jetzt zur Pause erhob, klangen allerlei Vermutungen und Ansichten durcheinander.
Als sich das Interesse des ganzen Hauses so plötzlich dem Italiener zugewandt hatte, war Peter von Bertelmann allein und unbeachtet an seinem Dirigentenpult zurückgeblieben. Jetzt ging er in schnellen Schritten über das Podium und in seine Garderobe.
Dort fand er seinen Impresario in einem Zustande vor, der schlechthin bedauernswert genannt werden muß.
„Maestro! Maestro! Ein Skandal! Ich bin ruiniert. Sie sind ruiniert! Wir beide sind ruiniert! Pacienca diletta!“
Peter von Bertelmann war durchaus nicht in der Stimmung, anderen Mut zuzusprechen. Er hatte im Augenblick genug mit sich selbst zu tun. So achtete er weiter gar nicht auf Caballero Vargas und warf sich einfach langausgestreckt auf eine Couch, die an der Wand stand. Er starrte, ohne ein Wort zu erwidern, zur Decke.
„Maestro! Ich beschwöre Sie-“
Aber da trat plötzlich aus dem Hintergrund der Garderobe ein breiter, dicker Mann auf den Impresario zu und bedeutete ihm zu schweigen. Der Chef des Nachtexpreß nahm einen der Holzstühle, rückte ihn dicht an die Couch und nahm ohne viel Umstände Platz. Dabei beugte er sich über Peter von Bertelmann und sprach auf ihn ein, so wie ein Manager zwischen zwei Runden in der Ecke eines Boxringes auf seinen etwas angeschlagenen Schützling einredet.
„— Sie haben Mattoni gesehen. Er ist empört. Man hätte ihn irregeführt. Er will alles widerrufen. Ihre Symphonie sei vollkommen indiskutabel---“
Dr. Malborn holte jetzt ein peinlich zusammengefaltetes Taschentuch hervor und wischte sich damit über die Stirn.
„Wenn Ihre zweite Symphonie, die auf dem Programm steht, nicht besser ist, sind Sie erledigt. Für mich persönlich und den Nachtexpreß bleibt dann nur die Möglichkeit: vollkommen zu schweigen. Die übrigen Blätter, die bisher für Sie Partei ergriffen haben, werden vermutlich dasselbe tun. Das Abendblatt allerdings---nun, es wäre für beide Teile nicht sehr erfreulich.“
Der dicke Chef des Nachtexpreß stand wieder auf. Der Raum war sichtlich zu eng für ihn, und er mußte fürchten, überall anzustoßen.
„Entweder Sie zeigen sich überhaupt nicht mehr heute abend — dann haben Sie wenigstens einen offenen Skandal vermieden. Und ein solcher liegt in der Luft, ich rieche es förmlich---oder der zweite Teil Ihres Programms ist besser als der erste, dann ist Ihre Karriere gerettet, und der Nachtexpreß wird Sie, so wahr ich vor Ihnen stehe, bis in den Himmel heben!“
Dr. Malborn schien keine Antwort zu erwarten. Er wandte sich ohne jedes weitere Wort wieder der schmalen Tür zu und ging mit gesenktem Kopf, sehr in Gedanken versunken, aus dem niederen Raum.
Peter von Bertelmann aber sprang jetzt auf. Er trat vor den Spiegel und brachte seine Krawatte in Ordnung. Dabei wies er über die Schulter seinen Impresario an, die Noten für das „Adagio“ auslegen zu lassen. Das Orchester wisse schon Bescheid — --
Die erste Sensation nach der Pause war die allen sichtbare Tatsache, daß Mattoni von der Mailänder Scala schweigend und mit unbewegtem Gesicht neben Professor Beckmann in der Loge des Allgewaltigen Platz nahm.
Der Italiener hatte also das Lager gewechselt. Sein Stuhl neben dem dicken Chef des Nachtexpreß war jetzt leer. Trotzdem hatte Dr. Malborn wieder in seiner Loge Platz genommen, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt, ganz so, als habe sein italienischer Gast lediglich der besseren Sicht wegen, oder weil er dort irgendwelche Bekannte getroffen hätte, seinen Platz verlassen.
Die zweite Sensation bestand darin, daß Caballero Emilio Vargas das Podium betrat, bekanntgab, daß sich Peter von Bertelmann gestatten würde, in Abänderung des vorliegenden Programms eine Komposition zum Vortrag zu bringen, die er erst in diesen Tagen vollendet habe. Er bitte höflichst, ihm diese Eigenmächtigkeit nachzusehen.
Der Portugiese verneigte sich lächelnd und stieß, als er das Podium jetzt wieder verließ, beinahe mit dem Dirigenten zusammen.
Der Applaus, mit dem Peter von Bertelmann begrüßt wurde, war sehr zurückhaltend. Man war gewarnt und hatte sich vorgenommen, vorsichtiger zu sein.
Da hob der umstrittene Komponist unverzüglich seinen Taktstock und gab das Zeichen zum Einsatz.
Schon nach den ersten Takten wurde es in der Proszeniumsloge des Allgewaltigen unruhig. Der Italiener rückte plötzlich seinen Stuhl näher an die
Weitere Kostenlose Bücher