Die Fuenfzig vom Abendblatt
hoffte, ihn damit zur äußersten Eile anzutreiben:
„Der Halunke spielt Ihre Musik. Mit seiner Symphonie ist er glatt durchgefallen. Und wenn das, was er jetzt als seine neueste Komposition angekündigt hat, nicht Ihr Adagio ist, das Sie mir vorgespielt haben, dann lasse ich ein für allemal meine Finger von der Musik und werde Dachdecker!“
Professor Beckmann hatte mit seiner Eröffnung den erwarteten Erfolg. Nun war es der Blinde selbst, der zur Eile drängte. Die letzten Schritte zum Wagen rannte er beinahe. Und Alibaba konnte ihn nur mit Mühe noch durch die Tür schieben, ohne daß er anstieß.
„Zurück zum Unionhaus-!“
Wer von den Jungen noch im Auto Platz fand, stieg ein. Die übrigen schwangen sich auf ihre Fahrräder.
Der Professor benutzte die Fahrt im Wagen, um von dem Blinden zu erfahren, ob es denn möglich sei, daß von Bertelmann in den Besitz der Noten gelangt wäre. Da erzählte Vater Verhoven von dem überraschenden Besuch und der grußlosen Verabschiedung — — — Jetzt ahnte der alte Herr die Zusammenhänge.
Während er dann mit dem Blinden und den Jungen die Treppe zum Unionhaus hinaufstieg und durch die Vorhalle ging, schilderte er kurz den bisherigen Verlauf des Konzerts.
Sie kamen nicht zu spät. Vom Saal her war noch die Musik zu hören.
Dabei kam Professor Beckmann jetzt erst dazu, dem Blinden seinen Rock überzuziehen. Er rief leise die Jungen zu sich heran.
„Wenn jetzt Verhoven wirklich feststellt, daß diese Musik
da drinnen seine Musik ist---- Jungen, paßt jetzt genau auf--“
Es war nicht viel, was der alte weißhaarige Mann den Jungen der Horde in halblautem Ton zu sagen hatte. Nur ein paar Worte. Er war ja bekannt dafür, daß er sich stets kurz faßte. Aber diese paar Worte trafen den Kern der Sache und legten klipp und klar fest, was zu tun sei.
„Also — wenn ich die Hand hebe—!“
Professor Beckmann drückte vorsichtig die Türklinke zur rechten Proszeniumsloge, schob sich zwischen dem schmalen Spalt, den er geöffnet hatte, hindurch und zog den Blinden hinter sich her.
Der Allgewaltige sah erstaunt auf, als sich jetzt ein vollkommen Fremder neben ihm auf den leeren Stuhl setzte. Er suchte mit seinen Blicken nach dessen Gesicht, fand aber statt der Augen nur die dunklen Gläser einer Brille. Bis er jetzt neben dem Fremden die Gestalt des Professors stehen sah. Aber der Gelehrte schien voll und ganz vom Spiel des Orchesters in Anspruch genommen. Er sah an dem Chef des Abendblattes vorbei und nahm seinen Blick nicht eine Sekunde von der Gestalt des Dirigenten.
Mit jeder Sekunde kam mehr Bewegung in den Körper des Blinden. Vor allem in seinen Händen drückte sich die Unruhe aus, die ihn offensichtlich immer mehr erfüllte. Er tastete vor sich ins Leere, bis er plötzlich die Brüstung der Loge fühlte. Daran klammerte er sich regelrecht fest.
Sein „Adagio“! Da, das Pianissimo, die ersten und zweiten Geigen. Wie ein Ährenfeld, das der Wind berührt hat, wogte es auf und ab---
Ein letztes Mal legte sich jetzt das Hauptmotiv der Komposition mit deutlicher Klarheit über alle Instrumente. Dann aber verklang es Takt für Takt, bis es schließlich ganz verstummte.
Ein paar Sekunden herrschte in dem weiten Saal Kirchenstille. Selbst die Sensationslüsternen in den Logen des ersten Ranges waren von dieser Musik irgendwie bewegt.
Und dann brach der Applaus los. Er regte sich zuerst in den hintersten Reihen des Saales, sprang dann von Stuhlreihe zu Stuhlreihe bis zum Podium, erfaßte den ersten, den zweiten, den dritten Rang und schlug schließlich aus allen Ecken und Enden des Saales über dem Dirigenten zusammen, der sich jetzt im Licht der Scheinwerfer verneigte.
Vater Verhoven empfand keine Bitterkeit und keinen Haß in diesem Augenblick. Als Professor Beckmann jetzt ganz dicht an ihn herankam, um sich zu versichern, ob diese Musik wirklich von ihm wäre, ob auch keine Täuschung möglich sei, da ging geradezu ein glückliches Lächeln über das Gesicht des Blinden.
„Ja, sie ist von mir.“
Und unwillkürlich hatte Verhoven eigentlich das Bedürfnis, Peter von Bertelmann zu danken. Er hatte seine Komposition instrumentiert, mit diesem herrlichen Orchester gespielt und sie mehr als tausend Menschen erstmals zu Gehör gebracht. Und diese Menschen hatten ihn verstanden. Der Blinde fühlte es mit tiefer Freude. Vor allem in den Augenblicken, als die letzten Takte verklungen waren und sie geschwiegen hatten. Aber auch jetzt, dieser Beifall, der
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