Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fuenfzig vom Abendblatt

Die Fuenfzig vom Abendblatt

Titel: Die Fuenfzig vom Abendblatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
Vom Netzwerk:
und als dieser dann abfuhr, war er beinahe ebenso voll wie zuvor.
    Daß schon bei der nächsten Haltestelle jene drei verärgerten Jungen wieder ausstiegen, fiel nicht weiter auf.

Ein Zehnmarkschein kommt unter Glas

    Inzwischen war es kurz nach zwanzig Uhr dreißig. Die Uhr vom Columbus-Haus hatte vor ein paar Minuten zweimal geschlagen, und Erwin Kogge stellte fest, daß der Andrang doch sehr abgeklungen war. Er stand allein mitten auf der Straße, zog sich wieder mal seine Krawatte zurecht und versuchte, in der Dunkelheit irgendwelche weiteren Opfer zu erspähen. Die beiden Neuen hielten sich seitlich hinter einer Plakatsäule etwas in Deckung.
    Harald hatte im Laufe der letzten Viertelstunde, als es ruhiger geworden war, schon mehrfach versucht, mit Mario ins Gespräch zu kommen. Er wollte wissen, weshalb der schwarzhaarige Junge am Abend im Hof einfach weggerannt war. Aber Mario wich immer wieder aus. Nun würde ihm das nicht mehr gelingen.
    Harald lehnte an der Plakatsäule. Er verdeckte mit seinem Rücken die Anzeige eines neuen amerikanischen Films.
    „Warum bist du heute abend weggerannt? Du wolltest doch was von mir?“
    Harald sprach zögernd, Wort für Wort. Er spürte, daß er sehr vorsichtig sein mußte, wenn er eine Antwort erhalten wollte. So kam er dem anderen auf halbem Weg entgegen.
    „Ich habe dich dann überall gesucht — “ Harald wandte sich zur Seite. Aber Mario wich seinen Augen aus. Er schaute vor sich auf den Asphalt, so als ob da auf dem Gehweg irgend etwas nicht in Ordnung sei.
    „Wo warst du, bevor du hier beim Abendblatt eingetreten bist?“
    „Bei Rasmussen. In den Autowerken. Ich wollte eigentlich Motorschlosser werden. Aber die Arbeit war zu schwer für mich. Wir mußten manchmal zehn Stunden am Tag arbeiten — --“ Mario sah immer noch vor sich auf den Gehweg.
    „Und da bist du einfach weggelaufen?“
    „Mein Vater hat mich weggenommen. Ich war immer krank. Der Arzt sagte, das käme von der Arbeit. Ich stand von morgens bis abends an der Stanzmaschine. Und dann sei hier das Klima für mich nicht geeignet, sagte der Arzt. Ich müßte eigentlich wieder nach Neapel zurück. Wir hatten da ein kleines Haus in Cuccia draußen. Aber das geht nicht. Vater kann nicht mehr nach Italien Mario hatte ein Stück Papier zwischen den Fingern, das er in immer kleinere Stücke zerriß. Die Papierstückchen flatterten jetzt zur Erde.
    Eine Weile schaute Harald schweigend diesen Papierschnitzeln nach.
    Mario sah wieder auf.
    „Ich bin immer allein gewesen, mußt du wissen. Mein Vater hat mich in keine öffentliche Schule geschickt. Denn in der Schule hätte man mich meines Italienisch wegen bestimmt ausgelacht. Man sollte aber nicht über uns lachen. So habe ich auch noch nie einen gleichaltrigen Freund gehabt. Mit anderen Jungen bin ich zum ersten Mal überhaupt erst in den Rasmussen-Werken näher zusammengekommen. Aber die wollten nichts wissen von mir. Sie waren alle stärker als ich. Sie sahen, wie schwer mir die Arbeit fiel. Ich kann auch nicht boxen und nicht Fußball spielen. Und ich hab’ noch nie eine Zigarette geraucht „Trotzdem willst du jetzt hier zum Abendblatt? Du — diese fünfzig Jungen — , ein Mädchenpensionat ist das gerade auch nicht!“
    Harald sah dem schmalen, schlanken Italiener jetzt voll und etwas verwundert ins Gesicht. Aber Mario schien diesen Blick nicht zu spüren. Er zog nur die Schultern eng und hoch zusammen. Seine Lippen lagen schmal und beinahe gepreßt aufeinander. Er sah irgendwohin. Geradeaus in die Dunkelheit hinein.
    „Jetzt denkst du bestimmt, daß ich ein komischer Vogel bin Mario versuchte zu lächeln.
    „Ich denke überhaupt nichts. Ich höre zu „Und was soll ich dir noch erzählen?“
    „Vielleicht —“ Harald fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Vielleicht erzählst du mir, warum du so aussiehst, als ob du ständig vor irgend etwas Angst hättest —“
    „Du hörst also doch nicht nur zu „Du siehst nämlich wirklich so aus — “
    „Es stimmt auch, zu einem Teil wenigstens. Soweit ich zurückdenken kann, habe ich vor irgend etwas immer Angst gehabt. Ich wollte zum Beispiel nie in einem Zug fahren, weil ich sicher war, es gäbe einen Zusammenstoß. Das käme daher, weil ich zu viel Phantasie hätte, aus der die Vorstellungen erwachsen, sagt mein Vater. Nur wer Phantasie hätte, stelle sich gern vor, was alles passieren könne. Deswegen seien die mutigen Menschen vielfach Leute, die keine Phantasie hätten. Ich weiß nicht, ob

Weitere Kostenlose Bücher