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Die Fuenfzig vom Abendblatt

Die Fuenfzig vom Abendblatt

Titel: Die Fuenfzig vom Abendblatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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hatte es den Anschein gehabt, als sei das Rad des Rothaarigen daran schuld gewesen. Dieses Rad war Haralds Rad. Der Gedanke, daß Alibaba vielleicht am Tausch der Räder gescheitert sei, trieb ihn nur noch mehr.
    Unwillkürlich hatte der Junge bei diesen Überlegungen sein Tempo bereits gesteigert. Er zwang sich jetzt, jedes Denken wieder auszuschalten. Vor ihm lag die Strecke. Auf sie allein hatte er sich zu konzentrieren.
    Noch lagen beinahe zwei Runden vor ihm. Rund vier Kilometer Fahrt. Diese vier Kilometer galt es nun durchzustehen und ständig das Tempo zu steigern. Es war gut, daß er sich noch nicht ausgepumpt hatte.
    Und so wie Alibaba, wählte auch Harald die Strecke an den Werften zu einem ersten Zwischenspurt.
    Bereits am Ende der Dockstraße hatte er sich von seinem Rudel gelöst und stieß nun allein an anderen Einzelfahrern vorbei nach vorne. Er sah jetzt kaum mehr als drei Meter voraus. Die Beine fühlten den stärkeren Widerstand, aber sie traten weiter, ohne an Tempo nachzulassen. Der schmale Rücken des Jungen hatte sich stärker gekrümmt als zuvor.
    Die Menschen, die wie undeutliche Schatten an ihm vorbeiflogen, existierten gar nicht mehr für ihn. Auch ihr jetzt aufbrausendes Rufen und Schreien klang wie aus weiter Ferne.
    Er sah vor sich nur die paar Meter Straße, sah ein Hinterrad, an dem er vorbeizog. Eine Nummer. Einen Rücken. Andere Räder. Andere Rücken, die er jetzt Meter für Meter hinter sich ließ.
    Er lag jetzt wieder ganz für sich allein. Der nächste Fahrer war ihm etwa dreißig Meter voraus. Am Großen Stern mußte er ihn hinter sich haben.
    Seine Beine arbeiteten ganz gleichmäßig. Wie ein guter Mechanismus. Da vorne rechts stand eine Straßenlaterne. Von ihr ab bis zur Kurve am Großen Stern nahm sich Harald vor, zuzulegen. Genau in der Höhe des Beleuchtungskörpers zwang er sich, schneller zu treten. Jetzt spürte er zum ersten Male, wie sich die Muskeln in seinen Oberschenkeln verhärteten. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang er sich, trotzdem das gesteigerte Tempo durchzuhalten.
    Als er einen Übergang der S-Bahn durchfuhr, im Halbdunkel der schmalen Brücke, schoß Harald an seinem Vordermann vorbei. Ob es nun der Sprecher an den Werften gewesen war oder der Berichter, der am Großen Stern stand — beide hatten sie beinahe während der ganzen Dauer ihrer diesmaligen Durchsage nur von der Startnummer zweihundert gesprochen, die sich aus der Mitte des Feldes Meter für Meter immer weiter bis zur Spitze vorgeschoben hätte.
    Niemand hatte diesem Fahrer bisher auch nur die geringste Aufmerksamkeit zugewandt. Jetzt wartete man mit Spannung auf sein Kommen.
    Als Bulle an der Spitze des Feldes sichtbar wurde, fing die Horde bereits an, den Namen Haralds zu rufen. Dabei war von diesem weit und breit noch nichts zu sehen. Aber er würde als Sechster auftauchen. Der Lautsprecher hatte es so angekündigt. Und das genügte.
    Selbstverständlich empfingen die Leute vom Nachtexpreß ihren Anführer mit stürmischen Zurufen.
    Vier — sechzehn — einundzwanig — die Spitzengruppe war unverändert geblieben und hatte sich nur enger zusammengeschoben, bis jetzt Haralds roter Pullover sichtbar wurde. Wie eine Fahne flog ein vielstimmiges „Zwohundert“ vor ihm her.
    Und dann aus der Richtung des Schreiberschen Zeitungskiosks:

    „Ha-rald!“
    „Ha-rald!“
    „Ha-rald!“

    Drüben auf der Ehrentribüne hatte Mr. Voss längst seinen schwarzen Filzhut zu einer unförmigen Masse zusammengeknüllt. Er rief aus Leibeskräften ebenfalls den Namen seines Jungen.
    „Ob er’s durchhält? Mensch, ob er’s durchhält?“ Sam hatte den Hauptschriftleiter aufgeregt am Ärmel seines karierten Sonntagsanzuges gepackt und wurde sich in seiner Aufregung gar nicht bewußt, daß er mit Herrn Sprinter redete wie mit seinesgleichen. Vor allem Alibaba, der auf dem Hansaplatz so plötzlich und wie aus dem Boden gewachsen vor ihm stand, hatte Harald neuen, nochmaligen Auftrieb gegeben.
    Zwei Kilometer, die noch durchzuhalten waren.
    Schon am Ende der Dockstraße gelang es dem Jungen, zwei weitere Fahrer zu überholen. Er hatte sich dabei aus dem Sattel gehoben und war vorgestoßen, den Kopf gesenkt wie ein Stier. Aber jetzt spürte er, wie es immer stärker an den Waden spannte und wie selbst der gekrümmte Rücken zu schmerzen anfing.
    Aber Harald kannte diese Augenblicke. Sie kamen ganz plötzlich und legten sich wie Blei in die Glieder. Nur jetzt nicht nachgeben. In diesem Augenblick versuchte

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