Die Fuenfzig vom Abendblatt
Augenblick war Harald umringt. Irgend jemand strich
ihm sogar das Haar aus der Stirn, und als der Junge jetzt aufschaute, sah er in mehr als zehn oder fünfzehn Objektive von Fotoapparaten und Filmkameras. Man bat ihn, zu lächeln und in eine bestimmte Richtung zu schauen.
Alibaba war es, der ihn jetzt aus dem Sattel seines Rades hob. Aber als Harald jetzt aufzutreten versuchte, mußte er feststellen, daß er dazu gar nicht in der Lage war. Er mußte seinen Arm um Alibabas Schultern legen und sich im ersten Augenblick stützen, wie wenn er gelähmt wäre. Erst allmählich kehrte das Stehvermögen wieder in seine Beine zurück.
Sam hätte ihn am liebsten in aller Öffentlichkeit abgeküßt. Sein kleines Schokoladengesicht strahlte wie zu Weihnachten. Mit seinen beiden Fäusten trommelte er unentwegt auf Haralds Brust.
„Toll! Toll! Toll!“
Das war es, was er zu jauchzen vermochte.
Hauptschriftleiter Sprinter versicherte, daß er das nicht für möglich gehalten hätte, als er nach einer von Haralds Händen griff, die nun fast pausenlos gepackt und geschüttelt wurden. Mario war einer von denen, die es am herzlichsten und aufrichtigsten taten. Allerdings stumm. Weil er nicht wußte, was er dazu sagen sollte. Wie immer.
Und jetzt erst, wie ihn die Horde auf ihre Schultern nahm und jubelnd zur Ehrentribüne hinübertrug, jetzt erst begann Harald eigentlich zu begreifen, was dieser Sieg und was diese Stunde für ihn bedeutete.
Mr. Voss, eine lange Havanna im Munde, bahnte sich wie ein breites Schlachtschiff seinen Weg durch den Kreis der Menschen, die Harald umringt hielten. Als er jetzt vor seinem Jungen stand, schloß er ihn wortlos und unbedenklich in seine Arme.
„Old fellow — “
Im selben Augenblick, als er den Körper des Jungen an sich drückte, da fiel es dem Allgewaltigen allerdings ein, daß eine solche öffentliche Umarmung zwischen ihm und einem seiner Zeitungsjungen ja wohl doch etwas sehr väterlich wirken könnte. Selbst wenn dieser Junge heute auch das „Grüne Band“ gewonnen hatte. So löste er sich wieder von Harald, klopfte ihm dafür aber lächelnd auf die Schulter:
„Excellent — ausgezeichnet!“
Doch nun forderte der Lautsprecher die Teilnehmer des Rennens auf, sich zur Siegerehrung vor der Ehrentribüne zu versammeln. Zugleich bat er das Publikum, den Platz wieder zu räumen. Die Ordner der Wettkampfleitung mit ihren weißen Armbinden riefen laut irgendwelche Nummern unter die Fahrer, und als jetzt einer von ihnen den Jungen in seinem roten Pullover mit der zweihundert auf dem Rücken entdeckt hatte, zog er ihn ganz einfach mit sich fort.
„Hallo, he du, dich suchen wir ja gerade!“
Aber so einfach, wie sich der gute Mann das gedacht hatte, war die Sache nicht. Denn erstens ließen sich die Jungen des Abendblattes nicht so einfach beiseite schieben. Andererseits war das gesamte Publikum von den Trottoirs, von den Dächern der Autos und selbst vom Denkmal Marco Polos heruntergekommen und auf dem Platz vor den Tribünen zusammengeströmt. So war ein jämmerliches Gedränge entstanden.
Und mitten in diesem Gedränge, als sich Harald hinter dem Rücken der Ordner zu den Tribünen durchzuzwängen versuchte, hier, in dem allgemeinen Durcheinander von Schieben und Stoßen, fühlte sich der Junge plötzlich jäh und schmerzhaft am Arm gepackt:
„Du — das war eine Affengemeinheit! Dafür bezahlst du mir noch!“ Plötzlich stand Bulle wie aus der Erde gewachsen vor Harald.
Der war im ersten Augenblick nur maßlos erstaunt. Er schaute dem Anführer der Nachtexpreß-Mannschaft wortlos ins Gesicht. Hinter ihm, dicht gedrängt, die Horde. Ebenfalls sprachlos.
„Zieh kein so unschuldiges Engelsgesicht! Du weißt ganz genau, was ich meine, du hast mich beim Überholen richtiggehend geschnitten. Hätte ich nicht gestoppt, wären wir zusammengekracht
„Hättest dich eben gar nicht überholen lassen sollen Alibaba strich sich in aller Seelenruhe seine knallroten Haare aus der Stirn.
„Quatsch keine Opern! Mit dir rede ich jetzt nicht!“
Bulle schob sich immer dichter an Harald heran.
Da versuchte Mr. Voss einzulenken.
„Beruhigen Sie sich mal, junger Mann, Für Ihre Anschuldigungen ist ja wohl die Rennleitung zuständig.“
„Rennleitung! Herr! Die sitzt ja auf ihren Tribünen. Die sieht nicht, was da draußen auf der Strecke vor sich geht. Nee, Herr, machen Sie sich mal nicht schmutzig. Mischen Sie sich nicht in Dinge, die Sie nichts angehen. Das haben wir zwei ganz
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