Die Furcht des Weisen / Band 1
setzte seine bekannte angriffslustige Miene auf. »Vielleicht …«
»Schweig«, rief ich. »Ich höre lieber einem wiehernden Esel zu als deinem Geschwätz. Bei meiner Rückkehr ins Lager erwarte ich ein Feuer und eine Mahlzeit. Wenn ihr dazu nicht imstande seid, lasse ich aus Crosson ein Kindermädchen für euch kommen.«
Dedan stand auf. Der Wind fuhr durch die Bäume über uns und ein Schauer dicker Tropfen prasselte auf uns nieder. »Du bekommst gleich eine Mahlzeit, die du nicht so leicht verdauen wirst, Kleiner.«
Er ballte die Fäuste, und ich griff in meine Tasche und packte die Wachspuppe, die ich zwei Tage zuvor von ihm gemacht hatte. Vor Angst und Wut spürte ich einen Knoten im Magen. »Wenn du noch einen Schritt näher kommst, Dedan, füge ich dir solche Schmerzen zu, dass du mich anflehen wirst, dich zu töten.« Ich sah ihn unverwandt an. »Noch ärgere ich mich nur. Ich rate dir, mache mich nicht wütend.«
Dedan hielt inne, und ich konnte an seinem Gesicht ablesen, wie er sich an alles zu erinnern versuchte, das er je über Taborlin den Großen gehört hatte. Blitz und Feuer! Schweigend starrten wir einander an.
Zum Glück kehrte in diesem Moment Tempi ins Lager zurück und brach die Spannung. Ein wenig verlegen trat ich ans Feuer, um nachzusehen, ob ich es wieder anfachen konnte. Dedan stapfte in den Wald und suchte nach Brennholz, wie ich hoffte. Ob er das Holz von Kennelbäumen sammelte oder anderes, kümmerte mich inzwischen kaum mehr.
Tempi setzte sich an das erloschene Feuer. Wenn ich nicht so beschäftigt gewesen wäre, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass er sich sonderbar bewegte. Vielleicht aber auch nicht. Es ist selbst für einen |833| immerhin halbgebildeten Barbaren wie mich schwer zu bestimmen, in was für einer Verfassung sich ein Adem befindet.
Ich päppelte das Feuer langsam wieder auf. Inzwischen bereute ich meinen Wutausbruch schon wieder. Nur deswegen schimpfte ich Dedan nicht erneut aus, als er mit einem Arm voll nassem Holz zurückkehrte und das Holz achtlos neben meinem Feuer fallen ließ, so dass es sich auf dem Boden verteilte.
Kurz nachdem das Feuer wieder brannte, kehrte auch Marten zurück. Er setzte sich davor und hielt die Hände darüber. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen.
»Geht es dir besser?«, fragte ich.
»Auf jeden Fall.« Seine Stimme klang belegt und noch schlimmer als am Morgen, und sein rasselnder Atem ließ mich schon besorgt an Lungenentzündung und Fieber denken.
»Ich kann dir einen Tee kochen, der deinen Hals ein wenig freier macht«, sagte ich ohne viel Hoffnung. Marten hatte in den vergangenen Tagen alle meine Hilfsangebote zurückgewiesen.
Er zögerte, nickte dann aber. Während ich Wasser heiß machte, bekam er einen heftigen Hustenanfall, der fast eine Minute lang dauerte. Wenn der Regen nicht heute Abend aufhörte, mussten wir nach Crosson zurückkehren und warten, bis Marten sich erholt hatte. Ich durfte nicht riskieren, dass er eine Lungenentzündung bekam oder uns durch einen Hustenanfall an die Späher der Banditen verriet.
Ich reichte ihm den Tee. Tempi, der ebenfalls am Feuer saß, richtete sich ein wenig auf. »Ich habe heute zwei Männer getötet«, sagte er.
Einen langen Moment herrschte entgeistertes Schweigen. Ein feiner Nieselregen hüllte uns ein, und das Feuer zischte und knackte.
»Wie bitte?«, fragte ich ungläubig.
»Ich wurde von zwei Männern angegriffen, die sich hinter Bäumen versteckt hatten«, sagte Tempi ruhig.
Ich rieb mir den Nacken. »Verdammt, Tempi, warum sagst du das erst jetzt?«
Er sah mich unbewegt an und beschrieb mit den Fingern einen Kreis, eine mir unbekannte Geste. »Es ist nicht leicht, zwei Männer zu töten.«
|834| »Bist du verletzt?«, fragte Hespe.
Tempi musterte sie genauso unbewegt wie zuvor mich. Er war
gekränkt.
Ich hatte seine Bemerkung von eben missverstanden. Nicht der Kampf war ihm schwergefallen, sondern dass er zwei Menschen hatte töten müssen. »Ich brauchte Zeit, meine Gedanken zu ordnen. Und ich wollte warten, bis alle hier sind.«
Ich versuchte mich an das Zeichen für
Entschuldigung
zu erinnern, musste mich aber mit dem Zeichen für
Kummer
begnügen. »Was ist passiert?«, fragte ich unter Aufbietung meiner letzten Geduld.
Tempi überlegte lange, bevor er sprach. »Ich suchte gerade nach Spuren, da sprangen zwei Männer hinter Bäumen hervor.«
»Wie sahen sie aus?«, fragte Dedan. Er nahm mir die Worte aus dem Mund.
Wieder eine Pause. »Einer so groß
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