Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
auffällt, aber dem war nicht so. Selbst Wilem und Simmon, die mich damit aufzogen, dass ich diesen Mantel so mochte, sahen darin nie mehr als ein außergewöhnlich vielseitiges Kleidungsstück.
Elodin war der Einzige, der die Sache durchschaute. »Was ist denn das?«, rief er, als wir einander auf einem Hof vor dem Hauptgebäude über den Weg liefen. »Wie kommt’s, dass du enshaedet bist?«
»Wie bitte?«, fragte ich.
»Dein Mantel, Junge. Dieser Wendemantel. Wie in Gottes Namen kommst du denn zu einem Shaed?« Er hielt mein Erstaunen für Unwissenheit. »Weißt du denn überhaupt nicht, was du da trägst?«
»Doch, ich weiß, was das ist«, erwiderte ich. »Ich wundere mich bloß, dass Ihr es wisst.«
Da guckte er gekränkt. »Ich wäre ja wohl kein allzu fähiger Namenskundler, wenn ich so einen Fae-Mantel nicht schon von weitem erkennen würde.« Er befühlte den Saum. »Oh, wunderschön. Ein Stück alter Magie, das nur selten ein Mensch in die Finger bekommt.«
»Es ist eigentlich eher neue Magie«, sagte ich.
»Wie meinst du das?«, fragte er.
Als klar wurde, dass ich zur Erklärung ziemlich weit ausholen musste, lud mich Elodin in eine kleine, gemütliche Schenke ein, die ich noch gar nicht kannte. Ja, ich zögere, dieses Lokal überhaupt als Schenke zu bezeichnen. Dort hockten keine schwatzenden Studenten herum, und es roch auch nicht nach Bier. Es war vielmehr ein stiller, schummrig beleuchteter Raum mit einer niedrigen Decke, in dem bequeme Sessel standen und es nach Leder und altem Wein duftete.
Wir ließen uns in der Nähe eines warmen Ofens nieder und tranken Glühwein, und dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte meines unbeabsichtigten Ausflugs ins Reich der Fae. Für mich war das eine enorme Erleichterung. Ich hatte an der Universität noch niemandem davon erzählt, aus Furcht, mich zum allgemeinen Gespött zu machen.
Elodin erwies sich als erstaunlich aufmerksamer Zuhörer. Ganz besonders interessierte ihn die Auseinandersetzung zwischen Felurianund mir, als sie versucht hatte, mich ihrem Willen zu unterwerfen. Als ich zu Ende erzählt hatte, bombardierte er mich mit Fragen. Ob ich noch wüsste, was genau ich gesagt hatte, um den Wind herbeizurufen? Und wie hatte es sich angefühlt? Die eigenartige Wachheit, die ich ihm schilderte – ähnelte sie eher einem Alkoholrausch oder dem Anfangsstadium eines Schocks?
Ich antwortete ihm, so gut ich konnte, und schließlich lehnte er sich in seinem Sessel zurück und nickte. »Es ist ein gutes Zeichen, wenn ein Student loszieht, um dem Wind nachzujagen, und ihn dann tatsächlich auch fängt«, sagte er anerkennend. »Nun hast du ihn schon zweimal gerufen. Ab jetzt kann es nur noch einfacher werden.«
»Dreimal«, sagte ich. »Zum dritten Mal, als ich in Ademre war.«
Er lachte. »Du bist ihm bis an den Rand der Landkarte nachgejagt!«, sagte er und machte mit der gespreizten linken Hand eine weit ausholende Geste. Verblüfft erkannte ich, dass er damit in der Gebärdensprache der Adem
Erstaunen
und
Respekt
zum Ausdruck brachte. »Was war es für ein Gefühl? Glaubst du, du könntest den Namen nötigenfalls wieder finden?«
Ich konzentrierte mich und versuchte, meinen Geist in das Kreiselnde Blatt zu versetzen. Ein Monat und tausend Meilen lagen zwischen diesem und meinem letzten Versuch, und es fiel mir schwer, die eigenartige, trudelnde Leere in meinem Geist zu erzeugen.
Doch schließlich schaffte ich es. Ich sah mich in dem kleinen Gastraum um und hoffte, den Namen des Windes wie einen alten Freund zu erblicken. Aber da war nichts – nur die Staubpartikel, die in einem schräg durchs Fenster hereinfallenden Sonnenstrahl schwebten.
»Also?«, sagte Elodin. »Könntest du ihn rufen, wenn du müsstest?«
Ich zögerte. »Vielleicht.«
Elodin nickte, als hätte er verstanden. »Aber eher nicht, wenn dich jemand dazu auffordert?«
Ich nickte, aufrichtig enttäuscht.
»Lass dich nicht entmutigen. Das gibt uns etwas, auf das wir hinarbeiten können.« Er lächelte fröhlich und klopfte mir auf den Rücken. »Aber ich glaube, in deiner Geschichte steckt mehr, als dirselbst bewusst ist. Du hast mehr als den Wind gerufen. Nach dem, was du mir erzählt hast, glaube ich, dass du auch Felurians Namen gerufen hast.«
Ich dachte daran zurück. Meine Erinnerungen an die Zeit im Reich der Fae waren eigenartig lückenhaft, ganz besonders die an meine Auseinandersetzung mit Felurian, die etwas geradezu Traumhaftes hatte. Wenn ich versuchte, mich an
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