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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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und die Buchstaben gezählt. Die blauen kommen am häufigsten vor«,
erklärte Franklin. »Er hofft, dass es sich bei den meisten davon – vielleicht auch bei allen – um die Voka le
handelt.«
    Sadima blinzelte, und er entschuldigte
sich. »Vokale sind die Buchstaben, die du aussprichst.« Er sprach das Wort
»Stock« mit übertriebenem O-Laut aus. Sadima nickte. Sie hatte herausgefunden,
dass sie nur bei einigen Buchstaben ihre Stimme benutzte. Nun hatte sie einen
Begriff dafür. Vokale.
    »Das Wort Nanolas taucht fünfmal im
ersten Lied des Zigeunerbuches auf«, sagte Franklin. »Somiss hat es auch in
einigen der anderen Unsinns-Lieder gefunden, die wir gesammelt haben.
Allerdings hat jede Familie das Wort ein wenig anders ausgesprochen. Doch in
dem Zigeunerbuch mit der alten Sprache wiederholt sich kein einziges Wort.«
    Sadima spürte, wie ihr Mut sank. Sie hatte
geglaubt, Somiss würde seine Schule bald eröffnen können und dass Franklin,
wenn es erst mal so weit wäre, dafür sorgen würde, dass Somiss ihn weniger
brauchte.
    »Somiss zählt die blauen Buchstaben und
sucht nach Übereinstimmungen«, sagte Franklin, »und er hofft, dass er
Aufschlüsse über die Worte bekommt, indem er die Anzahl der Vokale vergleicht.«
    Sadima nickte, denn sie hatte begriffen,
was Somiss’ Plan war. Aber was wäre, wenn
das nicht klappen wür de? Vielleicht war Somiss nicht schlau genug, die Zusammenhänge
herauszufinden. Dann wäre die ganze Arbeit vergebens. Aber sie verbarg ihre
Bedenken und machte sich wieder ans Abschreiben.
    Als der Mond aufgegangen war und durch das
kleine Küchenfenster schien, stand Sadima auf, streckte sich und trat auf den
Balkon. Sie holte tief Luft, um den Geruch des brennenden Talgs loszuwerden.
    »Iss etwas und geh dann zu Bett«, rief
Franklin ihr aus dem Wohnzimmer zu.
    Sie drehte sich um und sah ihn an. »Ich
kann noch ein bisschen arbeiten.«
    Auch er erhob sich nun, stellte sich neben
sie und schaute in den Himmel hinauf. »Du bist zweimal so schnell wie ich. Du
hast längst deine Hälfte und noch mehr erledigt.«
    Sadima fühlte seinen warmen Arm um ihre
Schulter. Die Sterne funkelten, und der Mond hatte die Farbe von geschlagener
Sahne. »Vielleicht wird dich Somiss eines Tages nicht mehr so häufig brauchen«,
sagte sie leise.
    Franklin legte den Kopf schräg und sah sie
so eindringlich an, dass ihr Herz schneller schlug. Sie schaute auf und sah ihm
in die Augen. Hier, in der weichen Nachtluft und dem sanften Licht des Mondes,
sah er nicht mehr so müde und beschäftigt aus, sondern hübsch und freundlich,
so wie damals, als sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte. Sie fragte sich, wie
sie selbst wohl in seinen Augen erschien.
    Somiss’ Tür wurde aufgestoßen. Einen
winzigen Moment darauf war Franklin wieder in der Wohnung und zurück im
Wohnzimmer. Auch Sadima ging hinein, blieb aber in der Küche und tat so, als
würde sie den Holztisch abwischen, der als Schneidebrett diente.
    »Ist sie noch nicht wieder zurück?«,
fragte Somiss. Sadima ging zum Durchgang zwischen der Küche und dem Wohnzimmer
und sah, wie Somiss Franklin einen finsteren Blick zuwarf.
    »Bin ich«, sagte sie
ruhig, »das Abendessen ist beina he fertig.« Er schaute sie an, und seine Augen funkelten von der
seltsamen Energie, die ihn zu packen schien, wenn er fastete. Er nickte knapp,
dann drehte er sich zu Franklin um. »Bist du fertig?«
    Franklin zeigte auf den Tisch. »Sadima hat
ihren Teil erledigt, aber ich muss noch …«
    »Dann soll sie dir mit deiner Arbeit
helfen«, schnitt ihm Somiss das Wort ab. »Man kann einfach nicht voraussagen, wie
viel Zeit uns noch bleibt und …«
    Sadima hatte sich zum Herd umgedreht, aber
in der plötzlichen Stille sah sie auf und stellte fest, dass Somiss sie anstarrte. Mit drei raschen Schritten war er in
der Kü che, drängte an ihr vorbei und schloss die Balkontüren.
    »Offne sie ja nie mehr.«
    Sadima nickte, und sie fürchtete sich vor
dem wilden Ausdruck in seinen Augen.
    Somiss beugte sich zu
ihr. »Ich habe dich am Kö nigstag
gesehen«, flüsterte er. »Du hast uns angeglotzt wie das Bauernmädchen, das du
in Wahrheit bist. Es kann sein, dass die Männer meines Vaters dich ebenfalls
bemerkt haben, wie du neben Franklin hergingst.«
    Dann streckte Somiss
die Hand aus und umschlang ei ne
ihrer Haarsträhnen. Sadima stand mit aufgerissenen Augen da wie ein Kätzchen,
das im Gras auf eine Schlange gestoßen war. »Jeder würde sich an diese hier
erinnern«, knurrte

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