Die Gabe der Magie
und ich
fürchteten, Vater zu erzürnen, und mussten so lange warten. Aber …«
»Hör auf, Micah.« Mit einer Handbewegung
wischte Sadima seine unbeholfenen Worte weg. »Es gibt nichts, wofür du dich
entschuldigen musst. Wenn ich weiß, dass Laran hier ist, wird es für mich
leichter sein, fortzugehen.«
Sadima fragte sich, ob sie das wirklich so
meinte, wie sie es sagte. Seit drei Jahren drehten sich ihre Tagträume um das
Weggehen. Sie atmete aus und sah, wie sich die Brauen ihres Bruders hoben und
seinem Gesicht einen verständnislosen Ausdruck verliehen.
»Fortgehen?« Er klang, als sei er sich
nicht ganz sicher, was dieses Wort bedeutete.
Sadima nickte. Ihr ganzes Leben lang hatte
sie jemand anders sein wollen, ein Mädchen mit einer Mutter, einem Vater, der
sprach und lächelte und sie Freundinnen haben ließ, und ein Mädchen, das keine
Geheimnisse haben musste. Nun wollte sie nur irgendwohin, wo sie jemand
verstand. Micah war glücklich hier, er konnte hier jemanden lieben. Sie konnte
das nicht.
»Sadima«, sagte Micah und schüttelte den
Kopf. »Geh nicht. Wer in Ferne etwas verkaufen will, verdient kaum genug zu
essen. Ich kann dich nicht …«
»Ich habe mich entschieden«, sagte sie
ruhig. Sie sah die Sorge in den Augen ihres Bruders, und darunter noch etwas
anderes. Erleichterung? Wahrscheinlich. Dieses kleine Haus würde kaum eine
Familie beherbergen können – und Laran würde es sicherlich gerne zu ihrem eigenen
Heim machen.
»Ich werde nach Limori gehen«, erklärte
sie leise, und Micahs Augen weiteten sich erst, dann wurden sie ganz schmal.
»Ich werde dich nicht gehen lassen. Vater
hat immer gesagt …«
»Unser Vater hat sich selbst und alles
andere in dieser Welt gehasst.«
Sadima schlug sich die Hand vor den Mund,
so erschrocken war sie über den Zorn in ihrer Stimme. Sie suchte den Blick
ihres Bruders. »Du hast gesagt, er sei nicht immer so gewesen, aber für mich
schon, Micah. Er hat immer alles gehasst.« Sadima streckte ihr Rückgrat
und sah auf. Dann erzählte sie ihm von Franklin. Er hörte ihr zu, ohne sie zu
unterbrechen, aber sie sah, wie er die Fäuste ballte. »Wenn ich mit ihm
spreche, habe ich das Gefühl, irgendwo dazuzugehören«, sagte sie langsam und
beobachtete das Gesicht ihres Bruders. »Die Dinge geschehen mit mir. Ich bin
nicht wie alle anderen, Micah. Ich …«
»Mattie Han konnte auch immer gut mit
Tieren umgehen«, unterbrach er sie. »Es ist ein freundliches Herz, nicht mehr.«
»Nein«, sagte Sadima, die entschlossen
war, ihn dazu zu bringen, zu begreifen und ihr zu vergeben. »Ich kann fühlen,
was sie fühlen. Ich verstehe sie. Und mit Franklin zu sprechen hat mich für
immer verändert, Micah. Er hat mich verstanden, und ich …«
Micah warf seinen Becher quer durch den
Raum, und er zerschellte in der Feuerstelle. »Ein Mann, der sagt, er halte
Magie für real?«, schrie er. »Und er befindet sich in Limori? Ist er der Grund,
warum du davongehen willst?«
Sadima nickte ängstlich.
»Wie lange hast du das schon geplant?« Die
Wut auf seinem Gesicht war wie ein Schlag. Sadima konnte lediglich den Kopf
schütteln, während sie die Tränen wegblinzelte.
»Ich bin nur froh, dass Papa gestorben
ist«, presste Micah hervor. »Sein Herz brach an dem Tag, als du geboren wurdest.
Dies hätte ihn vollends umgebracht. Nach alldem, was diese Magierin Mama
angetan hat …« Er brach ab, und Sadima konnte keine Worte finden, um die Qualen
in seinen Augen zu lindern. Er ging durch die Tür und schlug sie so heftig zu,
dass die Fenster wackelten.
Zitternd ging Sadima in ihr Zimmer. Das
Zimmer, in dem sie geboren worden und ihre Mutter gestorben war. Sie benutzte
ihr ältestes Schultertuch, um ihre Sachen zu einem Bündel zu schnüren. Ihre
Pinsel und Farben legte sie in das Holzkästchen, das ihrer Mutter gehört hatte
– doch nicht alle. Micah hatte ihr die kleinen Tonnäpfe gekauft, einen nach dem
anderen. Es war ein Geheimnis gewesen, und er hatte sie von den Pennys bezahlt,
die er verdient hatte: Pennys, die er vom Milchgeld abgezweigt hatte.
Vielleicht würde er eines Tages ein Kind
haben, das die Farben benutzen würde, die sie zurückließ.
Sadima erledigte ihre Arbeit langsam, und
ihr ganzer Körper war nun hölzern und schwer. Endlich brach der Abend an. Sie
ging hinunter und setzte sich ins Vorderzimmer, denn sie war sich sicher, dass
Micah zurückkommen würde, um mit ihr zu sprechen und ihr eine neue Chance zu geben,
alles zu erklären.
Aber er
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