Die Gabe der Magie
kam nicht.
Sie schlief im Sitzen ein, in einem leeren
Haus.
Am nächsten Morgen fütterte sie die Tiere,
verabschiedete sich unter Tränen von den Pferden und Ziegen und brach in
Richtung Limori auf.
14
DER ZAUBERER TRUG EINE FACKEL UND LIEF SO
SCHNELL, DASS WIR KAUM HINTERHERKAMEN. NACH RUND HUN DERT Schritten gab es kein Flackern von
Feuer mehr an den Wänden, und der Gang war so dunkel wie Tinte. Wenn man auch
nur ein oder zwei Sehnte zurückfiel, bedeutete das, dass man vollends aus dem Lichtkreis
des Zauberers geriet. Dieser bog abrupt ab, und Fischjunge stolperte beinahe,
als wir in einen Gang geführt wurden. Ich warf ihm einen Blick zu und konnte
sehen, wie sich seine Lippen bewegten. Dies riss mich so aus meiner ängstlichen
Erstarrung, dass ich dieses Mal aufpasste. Wir waren nach rechts gegangen. Ich
schrieb es in meinem Kopf ganz oben auf die Liste. Rechts.
Der Tunnel fühlte sich jetzt kälter als
vorher an, und meine Knie waren seltsam waldig. Mir war ein wenig übel. Der
Zauberer schaute nicht in einziges Mal zurück. Was würde geschehen, wenn ich mich übergeben müss te? Würde er
dann stehen bleiben? Vor uns lag nichts als Dunkelheit, und hinter uns ebenso.
Der Zauberer bog nach links ab, und wir folgten ihm. Rechts. Links, ich
rannte einige Schritte, um den Anschluss nicht zu verlieren, und bemerkte, dass
der Gang ein klein wenig abschüssig war. Wir drangen tiefer in den Felsen vor.
Als sich der Gang verzweigte, hielt sich
der Zauberer leicht links, dann, beinahe unmittelbar darauf, bog er scharf nach
links, wo ein Gang jenen, in dem wir uns befanden, im rechten Winkel kreuzte. Rechts,
links, links halten, scharf links. Waren wir also im Kreis gegangen? Mit jedem Schritt wiederholte ich diese Abfolge im
Geis te und begann, mich ein wenig zu beruhigen, aber dann bogen wir erst
rechts und dann links ab, passierten einen Tunnel, ohne in irgendeine Richtung
abzubiegen, und gingen schließlich wieder links um eine Ecke. Die nächsten drei
Abbiegungen folgten so rasch, dass ich bereits spürte, wie ich in der Erinnerung
des Weges durcheinanderkam. Ich versuchte, wieder von vorne anzufangen, um mich
auf diese Weise der Richtungswechsel zu entsinnen, aber ich hatte gerade vier
Ecken vor meinem geistigen Auge aufgerufen, als der Zauberer erneut abbog. Ich
gab es auf. Mein Magen verkrampfte sich, und ich warf Fischjunge einen Blick
zu.
Seine Lippen bewegten sich noch immer.
Ich spürte, wie meine Augen schmerzten, aber ich konnte nicht
weinen. Ich würde nicht weinen. Dieser Unsinn konnte nicht länger als
einige Tage andauern. Die Zauberer wollten uns nur gleich am Anfang zu Tode
ängstigen, um sicherzustellen, dass wir sie fürchteten und deshalb keine
Schwierigkeiten machen würden. Bei diesem Gedanken atmete ich aus und fühlte
mich etwas besser. Das musste der Grund sein. Welchen sonst könnte es geben?
Der Zauberer blieb so plötzlich stehen,
dass ich in ihn hineinlief. Er bedachte mich mit einem Blick, mit dem man die
Sohle seines Stiefels anstarrte, wenn man in Pferdedreck getreten war, machte
dann eine Geste in Richtung des breiten, gewölbten Durchgangs und sagte:
»Schweigt und wartet.« Damit ging er davon.
Fischjunge ging natürlich als Erster. Ich
folgte. Der Raum war groß, und Fackeln loderten hoch an den Wänden, doch
trotzdem reichte das Licht nicht bis hinauf zur Decke. Vier Jungen standen in der Mitte, unter ihnen Le vin und
der Junge, der mich ein wenig an meinen Bruder erinnerte. Sie flüsterten. Außerdem
war ein großer Junge mit blondem Haar bei ihnen, der anscheinend versuchte, die
Übrigen zu irgendetwas zu überreden. Levin und der Rest lauschten gebannt.
Die andere Vierergruppe stand vor der
Wand. Einer dieser Jungen war dünn und hatte schmale Schultern und zottelige
braune Haare. Er sprach mit einem Knaben, der kleiner
als wir alle war. Dann schaute er auf und sah, dass ich ihn anstarrte. Sofort
schlug ich die Augen nieder.
In diesem Augenblick durchschnitt eine
heisere Stimme das Flüstern.
»Wer von euch ist kindisch genug, das Wort schweigt misszuverstehen?«
Augenblicklich herrschte Stille. Das war
der Zauberer, der vom Rednerpult aus zu uns
gesprochen hatte. Ich mu sterte ihn. Er sah jung aus, doch seine Stimme gehörte
zu einem Mann, der dem Tode nahe war.
»Legt all eure Kleidung ab.«
Allgemeines Gemurmel erhob sich,
verstummte je doch, ehe der Zauberer ein weiteres
Wort verlieren muss te. Niemand rührte sich. Wir alle starrten uns an,
dann den
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