Die Gabe der Magie
stehen«, sagte er von irgendwo
rechts. Rechts von mir.
»Tue ich«, sagte ich und wandte mein
Gesicht seiner Stimme zu. »Du bist derjenige, der sich bewegt und von einer
Seite auf die andere springt.«
»Das mache ich nicht«, sagte er leise.
»Ich stehe vier kleine Schritte hinter der Tür.«
Ich schüttelte den Kopf. »Du verdammter
Lügner.«
Er schwieg. Ich konnte hören, wie er sich
bewegte, dann stehen blieb.
»Ich lüge nicht. Und ich kann die Tür
jetzt auch nicht finden.«
Die Luft fühlte sich mittlerweile dick an,
und es gab keinen Luftzug. Mein Herzschlag war so laut, dass ich mich fragte,
ob Fischjunge ihn auch hören konnte.
»Dreh dich in Richtung meiner Stimme«,
sagte er, »und dann mach einen einzigen Schritt und bleib stehen. Sei
vorsichtig und schieb nur deine Füße nach vorne. Und zähle jeden Schritt laut.«
Ich nickte. Es machte Sinn, und ich folgte
seinen Anweisungen; meine Beine waren steif und hölzern. »Ein Schritt«, sagte
ich, »unmittelbar auf dich zu, glaube ich.«
»Gut«, antwortete er. »Nun mache ich einen
auf dich zu. So. Ein Schritt.«
»Zwei«, sagte ich laut und bewegte mich in
die Richtung seiner Stimme.
»Zwei«, wiederholte er, und seine Worte
ertönten nur ein Stückchen links von der Stelle, wo ich ihn vermutet hatte.
»Drei«, sagte ich und schob meine Füße
über den Stein. Schweiß überzog mein Gesicht.
»Drei«, wiederholte er. »Und ich drehe
mich ein wenig nach rechts auf deine Stimme zu.«
Jeder von uns hatte dreißig Schritte
gezählt, als die Tür nach innen aufschwang und mich im Rücken traf. Der
Zauberer trug eine Fackel. Er beugte sich herein und erhellte den Raum.
Ich starrte auf die Wände und die
Feldbetten davor, durch einen kleinen Gang voneinander getrennt. Der Raum war
vielleicht sechs Schritte lang und vier breit.
»Kommt mit«, sagte der Zauberer, drehte
sich wieder zurück zum Korridor und ging davon. Fischjunge folgte ihm, und ich
musste rennen, um sie einzuholen.
13
AN IHREM SIEBZEHNTEN GEBURTSTAG STARB
SADIMAS VATER. DIE LIEDER ZUM BEGRÄBNIS WIRKTEN DÜNN und brüchig, und das Schweigen zwischen Micah und Sadima war
schwer, was gut zu Papa gepasst hätte. Der Frühlingsnebel, der zwischen der
Morgensonne und der Wiese hing, fühlte sich richtig an. Nur elf Menschen waren
gekommen – alles enge Nachbarn. Die meisten von ihnen waren Kinder von Mattie Han. Eines ihrer Mädchen, die dunkelhaarige
La ran, stand den ganzen Tag so nahe bei Micah, dass Sadima schließlich
begriff, was ihr die letzten drei Jahre entgangen war. Sie war so mit ihrer Malerei,
den Ziegen und ihren eigenen Sehnsüchten beschäftigt gewesen, dass sie es nicht
gesehen hatte. Ihr Bruder war verliebt.
Es war merkwürdig, Gäste zu haben. Als sie
zurück zum Haus liefen, wurden Sadima zwei Dinge klar. Nun, da ihr trauriger,
schweigsamer Vater schließlich neben ihrer Mutter unter der Erde lag, konnte
sie aufhören, die Tinte und die Farben, die Micah in den letzten Jahren für sie
gekauft hatte, zu verstecken. Es gab nun nichts mehr, das sie davon abhielt,
auf der Veranda zu malen und nicht mehr auf den höher gelegenen Wiesen, wo nur
die Ziegen sie sehen konnten. Und es gab nichts mehr, das Micah daran hindern
würde zu heiraten.
Es dauerte nicht
einmal eine Woche, bis er es ihr sag te. Sie hatte gerade das Wasser für den Tag geholt und war
erschöpft vom Hin- und Herlaufen zum Brunnen im Garten, als sie sich neben ihn
setzte, um gekochte Gerste und Quark zum Frühstück zu essen.
»Ich möchte Laran heiraten«, sagte er,
dann schwieg er und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Sie konnte nur nicken
und kämpfte gegen eine seltsame Mischung aus Freude und Furcht an, während sie
aß.
»Laran wird dir nie das Gefühl geben, hier
unwillkommen zu sein«, fügte Micah hinzu und stand vom Tisch auf, um seine
Schale abzuspülen.
Sadima nickte und starrte auf die
schlichte, saubere, kleine Bauernhausküche, in der sie jeden einzelnen Tag
ihres Lebens begonnen hatte.
»Ich weiß«, sagte sie zu ihrem Bruder.
»Laran ist ebenso freundlich und großherzig wie Mattie.«
Micah sah erstaunt aus. Hatte er erwartet,
dass sie Einwände gegen seine Hochzeit
erheben würde? Er stell te die Schüssel ab und goss sich einen Becher Tee
ein, dann zog er seinen Stuhl wieder zurück. »Also, wenn du nicht glaubst, dass
es zu früh nach Vaters Tod ist …« Er brach ab und suchte Sadimas Blick. »Es tut
mir leid, Sadima, wenn das für dich überraschend kommt. Laran
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