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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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die
Manteltasche unseres Schulleiters zu stecken. Der alte Mann hat uns nie bei
etwas erwischt. Und wir beide haben das Geheimnis bewahrt.
    Ich gähnte und öffnete die Augen. »Ich
frage mich, wann sie uns was zu essen geben werden«, sagte ich leise in
Richtung von Gerrards durchgedrücktem Rücken. Er antwortete nicht, was mir gehörig
auf die Nerven ging. »Bist du nicht hungrig?«
    Er drehte sich um, und ich sah genug von
der Seite seines Gesichtes, um zu erkennen, dass er erstaunt war, vielleicht
sogar zornig. Ohne darüber nachzudenken, schwang ich meine Beine auf den Boden
und stand auf.
    »Du weißt doch gar nicht, was Hunger ist«,
erwiderte er leise und starrte zurück auf die Wand. Dann hob er eine Faust.
»Halt den Mund, Hahp.«
    Ich sah auf seinen Rücken und wünschte mir
halb, er würde noch mehr sagen, sodass ich ihm etwas antworten könnte, was ihn
verärgern würde. Ich war alles andere als gut im Kämpfen, trotz all der Lehrer,
die mein Vater angestellt hatte, als er genug davon hatte, zu sehen, wie ich
mit blauen Flecken und Kratzern nach Hause kam. Aber wenn wir stritten und
kämpften, was würden die Zauberer dann wohl tun? Würden sie darüber nachdenken,
mich nach Hause zu schicken? Die Vorstellung, wieder durch die Tür auf den steinernen
Vorsprung treten zu können, ließ mich vor Hoffnung erschaudern. Wäre es
denkbar, dass sie mich der Schule verwiesen? Ich machte einen Schritt vorwärts
und hatte vor, Gerrard auf die Schulter zu klopfen.
    »Denk nicht einmal daran«, sagte er leise,
als ich mich zu ihm beugte und gerade meine Hand heben wollte. »Wenn ich dich
bewusstlos schlagen muss, um in Ruhe lernen
zu können, dann werde ich das tun.« Seine Stim me war gleichgültig und
sachlich.
    Ich blieb, wo ich war, dann ließ ich mich
wieder auf mein Bett sinken und schob die
Bücher beiseite. Ich fühl te mich … schwer. Als ich mich hinlegte,
schlief ich gegen meinen Willen sofort ein.
    Am nächsten Morgen
klopfte ein unbekannter Zaube rer
an die Tür. Ich erwachte, spritzte mir Wasser ins Gesicht, pinkelte und folgte
schließlich Gerrard den Flur hinunter. Die wunden Stellen auf meiner Haut waren
so tief, dass ich mich kaum bewegen konnte. Hatte ich die ganze Nacht geschlafen?
Oder nur ein paar Minuten?
    Wieder nahmen wir einen anderen Weg. Es
dauerte dieses Mal nur halb so lange, den gewölbten Durchgang zum Klassenraum zu erreichen. Es waren dreizehn Abbiegungen. An fünf
konnte ich mich erinnern. Wie gewöhnlich saß Franklin mit gekreuzten Beinen auf
dem Boden und starrte ins Leere. Gerrard und ich setzten uns und warteten,
während die anderen Jungen eintraten. Ich rieb mir die Augen und starrte auf
die Wände und die Decke – überall hin, nur nicht in Franklins Gesicht mit den
leeren Augen. War es Morgen? Alle sahen unwohl und müde aus. Wie lange war es
her, dass uns unsere Eltern verlassen hatten? Einen Tag? Drei? Sechs? Hatte
irgendjemand etwas zu essen bekommen?
    »Ich will, dass ihr mit mir atmet«, sagte
Franklin, als jeder seinen Platz gefunden hatte und auf dem Boden kniete. Ich
spürte ein nervöses Lachen in meiner Kehle aufsteigen und schluckte, um es zu
unterdrücken. Franklins Augen glitten über die Gruppe und blieben bei mir
hängen. Ich sah Mitleid auf seinem Gesicht. Mitleid?
    Ich wandte den Blick ab.
    »Folgt eurem Atmen mit euren Gedanken«,
sagte Franklin in vernünftigem Tonfall, als ob es irgendeinen Sinn ergäbe. Dann
atmete er ein, und mit ihm sogen wir anderen die Luft ein. Ich schloss die
Augen und malte mir aus, ich sei derjenige, der die Prüfung am Ende besteht.
Ich stellte mir meinen Vater vor, der dann nervös und befangen in meiner Nähe
wäre, was dafür sorgte, dass mir mein Atem mit einem Stoß entfuhr. Die Luft hatte
kaum genug Zeit, in meinen Lungen zur Ruhe zu kommen, ehe sie wieder in umgekehrter
Richtung entweichen musste.
    »Ja, Hahp«, sagte Franklin leise, als ob
ich etwas laut ausgesprochen hätte. Rasch sah ich zu ihm. Er hatte bislang
niemanden beim Namen genannt. Nicht ein einziges Mal. Jeder Junge im Raum
starrte mich an.
    »Ja«, fuhr Franklin nun an alle gewandt
hinzu. »Atmen ist ein Kreisvorgang.«
    Dann atmete er wieder ein und aus, und
seine Augen flackerten von einem Gesicht zum nächsten. Ich regte mich nicht,
denn ich wollte nicht, dass er noch einmal seine Aufmerksamkeit auf mich
richtete. Die Luft drang in meine Lunge, drehte sich dort und entwich, immer
und immer wieder. Eine Zeit lang schloss ich die Augen, aber das

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