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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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Treppe
wieder hinunterhastete und hinaus auf die Straße rannte. Zitternd ging sie in
die Küche und zwang sich, die Buchstaben aufzuschreiben, die sie sich
eingeprägt hatte, wofür sie ein einzelnes Blatt Papier benutzte, das sie sich
selbst gekauft hatte. Dann zog sie das Lied für ein langes Leben heraus und
wollte sich gerade auf ihre Decken auf dem Fußboden setzen, um die Buchstaben
mit Lauten zu verbinden und sich so zu beschäftigen. In diesem Augenblick sah
sie das Blut auf dem Boden.
    Sadima holte einen Putzlumpen, wrang ihn
aus und wischte die Tropfen auf, als ihr weitere auffielen. Und dann noch mehr.
In ihren Augen brannten Tränen. Sie lief durch die Wohnung und putzte die Spritzer
weg, während sich die Szene vor ihrem geistigen Auge entwickelte. Der Junge war
erst in eine Richtung gelaufen, dann zurück, um unter den Tisch zu kriechen.
Dort waren die Spritzer zu runden Tropfen geworden, die dicht nebeneinander auf
den Boden gefallen waren, während der Knabe sich versteckte. Als er sich umdrehte
und vor der jeweiligen Seite des Tisches zurückwich, an der Somiss auftauchte,
waren die Spuren wieder weit verteilt. An einem Ende waren die Tropfen zu einer
langen, geraden Linie verschmiert. Somiss
hatte den Jungen unter dem Tisch hervorgezerrt und ihn heftig geschlagen.
Blutspritzer wie Nadeln zogen sich in einem Bogen über die Wand.
    Sadima wusch den Lappen aus und schüttete
das rosafarbene Wasser hinab auf die Straße, als gerade niemand unten am Haus
vorbeilief. Dann stand sie reglos mit verschränkten Armen dort, drehte sich mal
in die eine Richtung, mal in die andere, suchte mit den Augen die Menschenmenge
ab, zitterte und wünschte sich verzweifelt, irgendwo Franklin zu sehen. Aber er
kam nicht, und schließlich ging Sadima wieder hinein. Sie stellte den Tisch und
die Stühle wieder ordentlich hin. Mit bebenden Händen versteckte sie ihre
Papiere. Und dann warf sie zum ersten Mal an diesem Tag einen Blick in den
Flur. Die Tür zu Somiss’ Zimmer stand offen.
    Ihr erster Gedanke war, sie zu schließen,
damit er nicht einen neuen Grund hatte, aufzubrausen. Doch sie zögerte, blieb
zwei Schritte entfernt stehen und starrte auf
die Flurtür. Was würde geschehen, wenn er sich dar an erinnerte, dass er die Tür offen gelassen hatte,
und sie nun geschlossen vorfand? Unwillkürlich schlug sie sich die Hand
vor den Mund.
    Dann traf sie eine rasche Entscheidung.
Sie rannte zur Wohnungstür, öffnete sie und schaute hinaus. Niemand kam. Also
machte sie die Tür wieder zu, legte den Riegel vor, wirbelte herum und rannte
durch den kleinen Flur.
    Somiss’ Zimmer war viel größer als das von
Franklin. Ein ungemachtes Bett stand darin; eine schmuddelige Decke hing bis
auf den Boden. Es gab auch einen Tisch, der mitten an der Wand unter einem
schmalen Fenster mit geschlossenen Läden stand. Darauf lagen Papierstapel und
niedergebrannte Kerzenstumpen. Sadima rümpfte die Nase. Es roch schlecht in dem
Zimmer, und unter ihren nackten Füßen konnte sie den Schmutz auf dem Boden
spüren, denn offenkundig wurde hier nicht gefegt. Sie huschte zum Tisch und
warf einen Blick auf die Unterlagen, dann wandte sie sich wieder um und wollte
gehen. Nach zwei Schritten Richtung Tür jedoch blieb sie stehen, drehte sich
noch einmal um und starrte zurück. Auf den Laken waren Blutflecken.
    Das plötzliche Geräusch von Stimmen auf
der Treppe ließ sie zusammenfahren. Sie rannte aus dem Zimmer und schloss in
Sekundenschnelle die Tür. Dann hob sie den Riegel, der die Wohnungstür verschloss,
und zog sich zurück. Als sich die Tür öffnete, war sie schon wieder im Wohnzimmer und tat so, als rücke sie den
Tisch zurecht.
    »Warum hast du diesen kleinen Bastard
entwischen lassen?«, herrschte Somiss sie schon beim Eintreten an. Seine
Bewegungen waren angespannt, er bebte vor Zorn, und seine Augen waren schmal.
Er schien Sadima gar nicht zu sehen, während er an ihr vorbei zur Küche ging.
    Franklins und Sadimas Blicke kreuzten sich
einen Augenblick lang. »Geh ihm aus dem Weg«, flüsterte Franklin, während
Somiss in die entgegengesetzte Richtung blickte. Sadima nickte, aber Somiss war
bereits herumgewirbelt und kam auf sie zu. Sie drückte sich gegen die Wand, die
noch immer feucht von ihrem Putztuch war.
    Somiss schleuderte einen der Stühle
beiseite. Dieser rutschte über den glatten Fußboden wie ein getretener Hund,
der versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen. Sadima schob sich an der Wand entlang
bis zur Küche, hielt jedoch

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