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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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inne, als Somiss sie ansah. »Du bist diejenige, die
ihn hat entkommen lassen!«, brüllte er sie an; dann hob er das Kinn und starrte
in Franklins Richtung. »Er ist geradewegs an euch beiden vorbeigestürmt. Ihr
habt nicht einmal versucht, ihn festzuhalten.«
    »Er sah einfach nur wie ein Betteljunge
aus, Somiss«, begann Sadima. »Ich hatte keine Ahnung, was …«
    »Was?«, unterbrach Somiss sie und fuhr zu
ihr herum. »Du konntest doch wohl sehen, dass er geblutet hat, und du hast mich
rufen hören … Hast du vielleicht geglaubt, ich spiele gerade Verstecken mit
ihm?«
    Sadima machte einen letzten Schritt zur
Seite, um zur Küche zu gelangen, blieb jedoch wie versteinert stehen, als
Somiss an ihr vorbeidrängte. Seine Schulter prallte so hart gegen ihre, dass es
wehtat. Er bemerkte nichts.
    »Bist du sicher, dass er …«, setzte
Franklin an.
    »Hast du noch nie in einen Spiegel
geschaut?«, schnitt ihm Somiss das Wort ab. »Dieser Junge war ein Marsham.«
    Sadima schlüpfte an ihm vorbei und stieß
erleichtert die Luft aus, als sie endlich in der Küche und außer Sichtweite
war. Dort stand sie so reglos wie ein Zaunpfosten und lauschte.
    »Vielleicht«, sagte
Franklin. »Aber du kannst nicht …«
    »Ich weiß, wie ein
Marsham aussieht«, geiferte So miss. »Mein Vater kauft jedes Jahr zehn oder zwölf
von ihnen.«
    »Aber was sollte denn ein Junge in seinem
Alter …«
    »Sei doch nicht so begriffsstutzig,
Franklin«, schrie Somiss. »Mein Vater hat ihn ausgeschickt, damit er mich findet .«
Sadima zuckte zusammen, als sie hörte, wie er eine Faust gegen die Wand hieb.
»Der Junge hat vermutlich auf dem Marktplatz herumgefragt, und jemand hat ihm
den Weg gezeigt. Vielleicht Maude.«
    »Beruhige dich doch erstmal so weit, dass
…«, begann Franklin.
    »Mich beruhigen?«, zischte Somiss. »Ich
hätte ihn töten sollen. Du hättest das erledigen sollen.« Eine lange
Stille folgte, dann erneut das Geräusch einer Faust, die gegen eine Wand
drosch. »Noch vor Sonnenuntergang wird mein Vater wissen, wo ich bin.«

42
     
    DER RAUM SCHIEN ZU
GROSS FÜR GERRARD, MICH,
LEVIN, LUKE, WILL UND JORDAN. WIR SAHEN UNS kaum an, wenn
wir uns in diesem geschrumpften, traurigen Häufchen von sechs Jungen zusammendrängten.
Eigentlich waren wir auch nur zu fünft. Gerrard hielt sich immer abseits und
saß in der gleichen Haltung wie Franklin. Seine Gelenke schienen so locker,
dass seine Fußsohlen beim Sitzen nach oben zeigten. Niemand sonst von uns
schaffte das. Ich zitterte. Wo waren Wills
Zimmergenossen? Lagen sie ge schwächt im Bett … Oder lebten sie schon
nicht mehr?
    »Heute nähern wir uns dem ersten Tor«,
sagte Franklin. Er ließ uns anfangen und alle erlernten Atemmuster üben. Für
mich ging das inzwischen ganz automatisch. Ich musste nicht mehr mitzählen oder
überhaupt einen Gedanken daran verschwenden. Die meiste Zeit hörte ich Franklin
nur halb zu und verengte meine Augen zu Schlitzen, um in die Schatten zu
spähen, für den Fall, dass Somiss uns von dort aus beobachtete.
    »Das erste Atemmuster«, sagte Franklin,
und wir alle begannen mit dem einfachen, langsamen Ein- und Ausatmen. Ich
schloss die Augen und fühlte mich entspannt in die Übung ein, bis ich spürte, wie
sich Ruhe in meinem Körper ausbreitete. Ich wusste, dass das falsch und ein Trugschluss
war, aber ich ließ mich trotzdem bereitwillig darauf ein. Als ich die Augen
wieder öffnete, sah ich Luke, der an mir vorbeistarrte. Sein Gesicht war angespannt
und seine Oberlippe gefletscht wie bei einem knurrenden Hund. Ich drehte meinen
Kopf gerade weit genug, um zu sehen, dass Gerrard zurückstarrte. Wären wir an
einer richtigen Schule gewesen, hätte ich erwartet, dass es bei nächster
Gelegenheit zu einem Faustkampf kommen würde.
    Mein Magen verkrampfte sich. Verdammt. Wie
konnten sie denn jetzt daran denken, wer am Ende …
    »Schließt eure Augen«, sagte Franklin
ruhig, und ich wandte ihm den Blick zu. Seine eigenen Augen waren geschlossen. Wusste er, dass wir alle die Wände beo bachteten
und versuchten, Somiss irgendwo zu entdecken? Vielleicht
hatte ich mir auch nur eingebildet, ihn das sa gen zu hören. Das wäre
nicht das erste Mal. Meine eigenen Gedanken schienen manchmal lauter als die
wirklichen Stimmen. Franklin öffnete die Augen, während ich meine schloss.
    In der Dunkelheit hinter meinen Lidern
konnte ich spüren, wie die Luft, die ich einatmete, in mich eindrang und nach
einer langsamen Kreisbewegung wieder aus mir

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