Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
Ebenmaß. Aber ihre Augen!
Mit ihnen stimmte etwas nicht.
Sie waren dunkel wie die Nacht. Nur Schwärze schien in ihnen zu sein. Keine Pupillen, keine Iris, nicht einmal ein einziger weißer Fleck...
Blitze sah ich in diesen Augen. Grell zuckten sie durch die Dunkelheit, die das gesamte Innere ihres hübschen Kopfes auf geheimnisvolle Weise auszufüllen schien. Die vollen, aber etwas blassen Lippen öffneten sich zu einem spöttischen Lächeln. Zwei Reihen makellos weißer Zähne blitzen auf. Und das Lachen, das dann erscholl, war schauderhaft. Es war dermaßen von Haß durchtränkt, daß einem kalte Schauder den Rücken hinunterjagen konnten.
Das alles dauerte kaum länger als einen Augenaufschlag. Dann war es vorbei.
Nur Schwärze war für mehrere Sekunden um mich herum. Ein Gefühl der Panik stieg in mir auf. Schwindel erfaßte mich und ich glaubte zu fallen. Ich tastete mit den Händen und berührte etwas Glattes, Hölzernes. Die lackierte Oberkante einer Kommode aus Kiefernholz. Ich hielt mich daran fest. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
Eine Vision! schoß es mir durch den Kopf. Ich wußte es.
Es mußte sich um eine jener Traumvisionen handeln, für die meine Gabe verantwortlich war.
Langsam begannen sich vor meinen Augen wieder Konturen zu bilden. Ich griff nach dem Lichtschalter. Die Helligkeit schmerzte.
Ich schauderte noch immer angesichts dessen, was ich gesehen hatte. Es war eine Vision von schier unglaublicher Intensität gewesen.
Ich war verwirrt.
Mit wenigen Schritten bewegte ich mich auf einen der Sessel zu, die im Raum standen, und ließ mich darin fallen. Ich atmete tief durch.
Eine Vision - aber was hat sie zu bedeuten? fragte ich mich.
Verstört streifte ich die Schuhe ab.
Ich war hundemüde und noch vor wenigen Minuten wäre ich beinahe im Stehen eingeschlafen. Aber ich wußte, daß ich dennoch in dieser Nacht kaum Ruhe finden würde...
*
Immer wieder erwachte ich schweißgebadet und sah dann für Bruchteile von Sekunden jenes Gesicht vor mir, daß mir in meiner Vision zum ersten Mal begegnet war. Immer dieselben pechschwarzen Augen, die zuckenden, grellen Blitze, das Donnergrollen...
Und das Lachen.
Verzweifelt zermarterte ich mir das Hirn darüber, was diese Traumbilder wohl zu bedeuten haben mochten. Sie standen in irgendeinem Zusammenhang mit mir, mit der Zukunft, mit meinem Schicksal. Aber es war so, als hätte mir jemand lediglich einen winzigen Ausschnitt von einem gewaltigen Gemälde gezeigt. Es war beinahe unmöglich, von diesem Ausschnitt auf die Szenerie zu schließen, die das gesamte Gemälde darstellte.
Immer wieder schlief ich dann vor Erschöpfung ein, wälzte mich dann erneut unruhig hin und her, um wieder schweißgebadet zu erwachen.
Am Morgen fühlte ich mich wie gerädert.
Ich hatte das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Wie in Trance ging ich hinunter in die Küche. Tante Lizzy war bereits auf den Beinen und hatte den Tee aufgesetzt.
"Guten Morgen, mein Kind", sagte sie lächelnd. Ich antwortete ihr zunächst mit einem Gähnen. Dann versuchte ich das Lächeln zu erwidern.
Seit dem frühen Tod meiner Eltern hatte Tante Lizzy mich wie ihre eigene Tochter erzogen. Sie hatte mir die Mutter ersetzt und mich auf das hingewiesen, was sie meine Gabe genannt hatte. Eine Fähigkeit, die ich nicht selten als Fluch empfunden hatte. Nur langsam hatte ich mich damit arrangieren können.
"Du siehst nicht gerade glücklich aus", stellte Tante Lizzy fest. "War dein Wochenende nicht schön?"
"Es war wunderschön" erwiderte ich. "Einfach wunderbar..."
"Dann verstehe ich nicht..."
"Es hat nichts damit zu tun!"
"Womit dann?"
Sie sah mich an.
Tante Lizzy kannte mich einfach zu gut, als daß ich ihr etwas vormachen konnte.
"Du hattest eine Vision", sagte Tante Lizzy, und ihre Augen musterten mich dabei aufmerksam. Was sie gesagt hatte, war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Ich nickte.
"Ja", flüsterte ich.
Und mir schauderte allein bei dem Gedanken an die Bilder, die ich gesehen hatte.
Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als ich das abgrundtief schwarze Augenpaar dieser geheimnisvollen blonden Frau für einen Sekundenbruchteil vor mir sah.
"Möchtest du darüber reden, Patti?"
"Ja... Es war nicht viel, was ich sehen konnte. Das Gesicht einer jungen Frau, deren Augen vollkommen schwarz waren. Blitze zuckten darin. Und sie lachte... Es war schauderhaft. Sie wirkte voller Haß..."
"Du hast diese Frau nie gesehen?" Ich schüttelte den
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