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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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wurde er am Hof als Sonderling angesehen. Sie beide hätten sicher viel Spott über sich ergehen lassen müssen, wenn sie sich nicht durch die ihnen jeweils eigene spezielle und vom König geförderte Begabung Achtung verschafft hätten. Leicht berührte der Schreiber Ezra an der Schulter. Er wollte etwas Versöhnliches sagen, um die seltsame Spannung zu lösen.
    »Es könnte sein, mein lieber Architectulus, dass dir unser Herr König heute Abend gar eine große Sorge von der Seele nehmen wird.«
    Ezra gab sich einen Ruck und versuchte sich an einem Lächeln. Einhards Worte hatten sie tatsächlich zutiefst verschreckt. Wie nur konnte es sein, dass sie an einem Hof, wo offenbar jeder Schritt überwacht wurde, vier Sommer lang ihr großes Geheimnis hatte hüten können? Wie lange würde das noch gut gehen? Wie lange konnte sie noch verhindern, dass ein Kind in ihrem Bauch heranwuchs? Sie sah zu Lucas hin. Er sollte schnell etwas sagen, auf Einhards letzte Bemerkung eingehen, bevor der Schreiber gefährlichen Argwohn schöpfte.
    Lucas nickte fast unmerklich. Es glückte ihm inzwischen immer häufiger, Ezras Gedanken zu lesen. Ein winziges Zucken um Augen oder Mund genügte. Früher hatte sie sich gestenreich oder mittels des Wachstäfelchens mit ihm verständigen müssen. Was er, wie sie gelegentlich anmerkte, für entsetzlich kompliziert gehalten hatte. Vielleicht hätte ihm die Wahrheit schon viel früher gedämmert, hätte er ihr damals schon an dem wirren Haar vorbei genau ins Antlitz geblickt.
    Räuspernd wandte Lucas sich Einhard zu und fragte: »Welche große Sorge? Hat der Herr König etwa Ersatz für Meister Iosefos aufgetrieben?«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Einhard ungehalten. »Meister Iosefos ist nicht zu ersetzen, weder als Vater noch als Baumeister. Der König wird über euer Holzdach wahrlich nicht beglückt sein.«
    »Über den Innenausbau schon«, erwiderte Lucas. »Die Säulen stehen schließlich. Und auf dem oberen Umgang liegen die Marmorplatten. Ezra hat schon fast alle Rundungen dahinter mit Stiftmosaiken ausgefüllt. Das sieht passend und sehr vornehm aus.«
    »All dies wird ihn nicht mit der fehlenden Kuppel versöhnen. Wann werdet ihr sie mauern?«
    »Erst wenn die Eisenringanker fest mit dem gehärteten Mörtel verbunden sind«, erklärte Lucas bemüht unbekümmert. »Das kann noch zwei Jahre dauern.«
    »Zwei Jahre!«
    »Vielleicht auch drei«, setzte Lucas hinzu, dankbar, dass ihm diese technisch nicht haltbare, aber für den Schreiber glaubhafte Ausrede eingefallen war. Ezra sandte ihm einen warnenden Blick; jetzt bloß nicht übermütig werden!
    »Wir richten uns da nach den Anweisungen unseres verstorbenen Meisters«, murmelte Lucas, ohne Ezra anzusehen. »Er fürchtete, bei zu früher Belastung könnten die Schubkräfte die Ringanker sprengen. Und dann würde das Dach einstürzen. Von welcher Sorge meines Freundes hast du also gesprochen, als du meintest, der König könne sie von seinen Schultern nehmen?«
    »Von einer großen«, wiederholte Einhard, »wohl der größten, die er hat.«
    Er griff nach Ezras Hand und drückte sie fest. »Dein Warten könnte ein Ende haben, mein lieber Architectulus. Denn vielleicht haben des Königs Späher herausgefunden, wo sich deine Mutter aufhält und wo dein armer Vater bestattet worden ist. Der König höchstselbst hat zur Klärung dieser traurigen Angelegenheit viele Menschen in alle Himmelsrichtungen ausgesandt.«
    Ezra senkte die Lider.
    König Karl war ungeduldig. Als könnte er die Geschwindigkeit der vielen Tausenden hinter sich beschleunigen, hatte er sich bei Düren an die Spitze seines langen Trosses gesetzt. Dennoch bewegte sich der schier endlos erscheinende Heerwurm nur schleppend voran.
    »Die Leute sollen sich sputen«, fuhr er einen Hofbeamten an. »Bevor mein Ross vor Missmut zusammenbricht!«
    »Ja, Herr König.«
    »Nein, Herr König«, sagte Liutgard, die auf ihrem Zelter neben ihm ritt. »Die mit bloßen Füßen, und das sind die meisten, können nicht schneller gehen. Zudem sind viele entkräftet, vor allem deine Gefangenen. Lass lieber Halt machen, mein Gemahl.«
    »Halt?«, fragte Karl empört. »So kurz vor dem Ziel?«
    Sie lachte.
    »Ich möchte nicht Halt machen«, sagte sie. »Und du bist der König. Was hindert dich daran, vor dem gesamten Zug, vor allen anderen, in Aachen anzukommen?« Sie trat ihrem Pferd in die Seiten und sprengte mit wehendem Blondhaar davon.
    Karl bedeutete seinen Getreuen zurückzubleiben und

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