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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Höflinge tagsüber gern zu sich ins Wasser scheuchte, keinen Menschen vorzufinden wünschte, wenn er seinen müden Gliedern nachts ein erholsames Bad gönnte.
    »Es tut mir leid. Der Herr König kennt mich nicht«, antwortete Ezra leise.
    Nein, dachte er, ich kenne sie tatsächlich nicht. Noch nie habe ich ein solch seltsam klingendes Fränkisch vernommen, hart und doch melodisch. Wo mag diese Frau herkommen? Ist sie vielleicht die fremdstämmige Gespielin einer der Wachen, die darauf achten sollen, dass sich kein Unbefugter hier hineinschleicht?
    Er strengte seine Augen an. Gegen die Tür gedrückt, zeichneten sich deutlich die Konturen eines sehr jungen Weibes ab. Doch das nachtdunkle nasse Haar der Frau reichte ihr kaum weiter als bis an die Schultern. So kurzes Haar trugen nur erkrankte Frauen, solche, die Leid erlebt oder große Schuld auf sich geladen hatten. Wie konnte ein derartiges Weib den Weg in sein Badehaus gefunden haben? Was trieb sie hier?
    »Dein Name!«
    »Den möchte ich nicht nennen. Es wäre besser, der Herr König ließe mich gehen.«
    »Du wagst es, Dirne, so zu mir zu sprechen?«
    »Ich wage nichts. Ich habe Angst.«
    »Dein Name!«
    Ezra zitterte am ganzen Leib.
    »Theresa«, brachte sie schließlich flüsternd hervor. Voller Staunen spürte sie, wie ihre Angst nachließ. Einmal ausgesprochen, dünkte ihr der Name, auf den ihr Vater sie einst getauft hatte, wie eine Tarnkappe. Wenn sie sich den Namen Theresa überzog, konnte Ezra nichts Böses widerfahren.
    »Theresa, Theresa«, wiederholte Karl verärgert. Er kannte keine Theresa, zu der diese Gestalt passte. »Und weiter? Wer ist dein Vater?«
    »Sein Name würde den Herrn König unglücklich machen.«
    »Ich werde deinen Herrn Vater unglücklich machen! Und dich auch. Du wagst es, seinen Namen zu verheimlichen! Du wagst es, dich in mein Bad zu stehlen! Widerworte zu geben! Gott sei dir gnädig, Weib!«
    Eine große Welle schwappte über seine Füße. Er wandte sich ungehalten um.
    »Wer noch hat sich hierhergewagt?«, donnerte er über die Wasserfläche, die mit einem Male keine mehr war. Das eingefriedete nasse Element hatte sich in eine brodelnde, schäumende und tosende See verwandelt. Da erkannte Karl: Eine höhere Macht hatte eingegriffen.
    Ezra, die das Beben des Bodens unter ihren Füßen und das Zittern der Tür in ihrem Rücken gespürt hatte, nutzte den Augenblick. Sie riss dem König ihre Tunika aus der Hand und stürzte in langen Sätzen auf den Haupteingang zu.
    Karl ließ sie fliehen. Er blickte ihr nach, sah dann den Wellengang abebben und den Schaum zurückweichen. Er atmete tief durch.
    Gott ist ihr gnädig und uns auch, dachte er, als er sein Hemd ablegte. Er war sehr müde. Ich werde später herausfinden, wer diese Theresa ist. Sie muss in irgendeiner Verbindung zu meinem Hof stehen, sonst hätte sie nicht hier hereinkommen können. Mit knackenden Gliedmaßen ließ er sich auf dem Beckenrand nieder und genoss das warme Wasser, das jetzt sanft seine Waden umschmeichelte.
    Zum Glück war es nur ein kleines Erdbeben gewesen. Es hatte keine sichtbaren Schäden an der Kirche angerichtet, wovon sich Ezra am nächsten Morgen überzeugen konnte. Sie nahm freiwillig an der heiligen Messe teil, vor der sie sich an diesem bedeutenden Tag ohnehin nicht hätte drücken können. Dankbar für die dicht gedrängte Menschenmenge, die ihr erlaubte, sich unauffällig an Lucas zu schmiegen, stand sie im Oktogon zwischen Odo und seinem Sohn. Müdigkeit drohte sie zu übermannen. Was ihr von der Nacht geblieben war, hatte sie im Gebet verbracht, um Allah für seine Barmherzigkeit und Gnade zu danken. Mit ähnlich klingenden Anrufungen und Formulierungen huldigte nun die verzückte Christengemeinde ihrem Gott. Ezra fragte sich allerdings, ob die Inbrunst der Menschen nicht eher durch das eindrucksvolle Spektakel hervorgerufen wurde als durch die Zwiesprache mit dem Schöpfer.
    »Zum ersten Mal wird hier in Aachen die gesamte Messe nach römischem Ritus abgehalten«, hatte ihnen Einhard zuvor erläutert. »Dieser Messritus gilt jetzt überall im Reich.«
    Ezra verstand zwar nicht, was damit gemeint war, aber sie fand die Andacht durchaus feierlich. Trotz ihrer Vorbehalte konnte sie sich nicht der Magie dieser opulenten Kulthandlung entziehen. Bei den Klängen der gesungenen Liturgie und den gregorianischen Chorälen liefen ihr wohlige Schauer über den Rücken.
    Wie alle anderen reckte auch sie sich, um einen Blick auf den fein gewandeten

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