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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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aufflackerten, wartete er die Antwort nicht ab, sondern setzte hinzu: »Und dessen Vater, der in Konstantinopel schlecht gelittene und verfolgte Baumeister Iosefos, sollte nach abgeschlossener Arbeit in Bagdad wohl ein weiteres großzügiges Geschenk des Herrn über das Abbasidenreich an das Frankenland darstellen?«
    Isaak verabschiedete sich von seiner zuvor geplanten Strategie. Er entsann sich der Gerüchte, der König sei unverwundbar, da er die Gedanken seines jeweiligen Gegenübers lesen könne. Nun, dazu bedurfte es keines Geheimwissens. Jeder erfahrene Fernhändler beherrschte die Kunst der raschen geistigen Verknüpfung von Gesehenem, Gehörtem und Erahntem.
    »Das ist die Wahrheit«, gab er also zu. »Der edle Kalif Harun al Raschid hat Baumeister Iosefos auf die Reise geschickt. Doch ausgeraubt und mittellos wagte es dieser nicht, sich als Geschenk zu erkennen zu geben.«
    Karl sagte zunächst nichts weiter, sondern musterte die Koranseite so intensiv, als könnte er den ihm unbekannten Zeichen eine Botschaft abringen. Dann schob er das Papier Isaak wieder zu.
    »Sag mir, was hierauf geschrieben steht.«
    Isaak übersetzte ihm den Text. Als er fertig war, bat ihn der König, den ersten Satz noch einmal zu wiederholen.
    » Und wir festigten seine Königsherrschaft und gaben ihm die Weisheit und die Fähigkeit, Streitfälle zu entscheiden «, las Isaak vor.
    Der König erhob sich.
    »Diese Seite mag willkürlich aus dem Buch herausgerissen worden sein, Isaak. Doch es war Gottes Wille, dass ebendiese Botschaft des Kalifen den Weg über dich zu mir gefunden hat. Du hast wahrlich recht, mein Freund: Es ist ein eigener, sehr freundschaftlicher Gruß an den König des Nordens. Den ich beantworten werde, sobald ich nach Aachen zurückgekehrt bin und die unerfreuliche Angelegenheit mit dem gestohlenen Schatz geklärt habe.« Er rief den an der Tür stehenden Hofbeamten herbei, überreichte ihm das Porträt und sagte: »Mach diesen Mann noch heute Abend unter meinen Leuten ausfindig und lege ihn in Ketten. Er soll auf den Namen Fredo hören und über ein Pferd verfügen.«
    Der Hofbeamte nahm das Blatt entgegen und fragte: »Darf ich die neue Abordnung aus Aachen vorlassen? Sie ist soeben eingetroffen und wartet vor der Tür.«
    »Sie soll hereinkommen«, bemerkte Karl und wandte sich an Isaak: »Wenn das Geschenk des Kalifen beim rechtmäßigen Empfänger angekommen ist, werde ich mich erkenntlich zeigen und dich, Isaak, als meinen Botschafter nach Bagdad auf die Reise schi…«
    Er brach ab. Isaak hätte es nie für möglich gehalten, dass die hellen Augen des Königs von solchem Leuchten erfüllt sein könnten. Ohne Rücksicht auf die Etikette, wandte sich der Fernhändler abrupt um und blickte zur Tür, um zu sehen, was diesen Glanz verursacht hatte.
    Eine schöne junge Frau.
    Seinen Besucher vergessend, trat der König auf die schlicht, aber edel gewandete Besucherin mit dem langen blonden Haar zu und nahm ihre beiden Hände in seine.
    »Ach!« Seine Stimme klang noch heller als sonst und überschlug sich fast: »Liutgard! Welch eine Freude!«
    Angesichts eines solchen Gefühlsausbruchs hielt es Isaak für ratsam, nicht auf eine formelle Verabschiedung zu warten. Er drückte sich also aus dem Raum, vorbei an Pfalzgraf Wicco, der sich auf die Zehenspitzen gestellt hatte, um über die Schultern anderer Würdenträger Einblick in das Gemach zu bekommen. In seinem Gesicht spiegelten sich höchste Besorgnis und tiefste Enttäuschung.
    Zu Recht, dachte Isaak, denn in diesem Raum steht die künftige Königin. Beobachten und kombinieren konnte der Fernhändler schließlich auch.
    Aachen, Spätherbst 795
    Ezra mochte einen Freund verloren haben, aber sie hatte tatsächlich eine Freundin gewonnen. Inzwischen besuchte sie Gerswind täglich in der Nähstube, immer in der Hoffnung, die junge Sächsin dort allein anzutreffen. Dann wurde die Tür verriegelt, und Ezra entledigte sich der Männerkleidung, die ihr das Schweigen auferlegte. Sie zog ein einfaches wollenes Frauengewand über und kämmte sich das Haar aus der Stirn. Und während sie Gerswind bei der Arbeit half, führte sie nicht nur einen Kampf mit Nadel und Faden, sondern vor allem mit fränkischen Konsonanten und Vokalen.
    »Dein Stich ist besser als deine Aussprache«, sagte Gerswind. Mit entschuldigendem Blick nahm sie Ezra den feinen grünen Leinenstoff aus der Hand und trennte die soeben gefertigte Naht wieder auf. »Vielleicht solltest du auf dem Fest lieber

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