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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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rührte sich nicht von der Stelle. Sie bedurfte aller Kraft, um nicht in Tränen auszubrechen.
    »Das beste Wissen ist nämlich das, was du kennst, wenn du es brauchst«, sagte der Wächter leise, als er sich bückte, um das Pergament aufzuheben. »Ich bin kein Mann des Wissens, Architectulus, aber eins weiß auch ich: Dies ist viel zu teuer für eine Sau.«
    Er wartete, bis die Gruppe der Edlen aus seinem Blickfeld verschwunden war, und händigte dann Ezra das Pergament wieder aus.
    29. oktober 797
    Der Tonfall war etwas ungewohnt, vielleicht singender mit weniger kehligen Konsonanten, aber die drei Männer, denen Ezra im Gang zur Halle folgte, sprachen eindeutig Arabisch. Ezra huschte näher heran, um ihren Schritt dem der Vorangehenden anzupassen. Sie war begierig, jedes Wort der so lange nicht gehörten Muttersprache aufzusaugen. Dabei hätte sie schon früher das Vergnügen haben können, wenn sie in den vergangenen Wochen an den Abendmahlzeiten im Palatium teilgenommen hätte. Denn Emir Abdallah war nun schon geraume Zeit Gast des Königs, dem er sich vor wenigen Tagen öffentlich unterworfen hatte. Am Ende der Reichsversammlung sollte der aus Córdoba vertriebene Omayyade mit Karls Sohn Ludwig gen Süden reisen, im Gepäck die Hoffnung, seinen Neffen mithilfe der Franken stürzen zu können.
    Darüber sprachen die drei Männer vor ihr in diesem Moment jedoch nicht. Sie unterhielten sich über das Essen. Nicht über die Speisen, die sie in der Halle des Frankenkönigs erwarteten, sondern über die delikaten Köstlichkeiten ihrer Heimat, die sie an der frugalen Tafel der Barbaren des Nordens so schmerzlich vermissten. Als sie von zarten kleinen Herbstgurken sprachen, von in Honig getränkten Mandelkuchen, von Fischen, die in Bananenblättern sanft gegart wurden, von saftigen Sultansorangen und Zuckerwerk mit gerösteten Pistazien, lief Ezra das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte fürchterlichen Hunger. Schließlich hatte sie zum letzten Mal vor Sonnenaufgang gegessen und getrunken und dabei nur einen harten Kanten Brot mit heißem Wasser heruntergespült.
    In der Nacht hatte sie tatsächlich die erste Mondsichel nach dem Vollmond am Aachen er Himmel gesichtet. An einem Freitag, was ihr als ein gutes Omen erschien. Und außerdem würde an diesem Freitag, dem ersten ihres selbst gewählten Ramadans, am Hof des Königs gewiss kein Wildschwein serviert werden. Also rang sie sich dazu durch, wieder in der Gemeinschaft des fränkischen Hofstaats zu speisen.
    Zu viele Menschen, hatte sie auf ihr Wachstäfelchen gekritzelt, als Lucas sie vor Monaten gedrängt hatte, doch wieder neben ihm an der Tafel Platz zu nehmen. Denn sie hatte es vorgezogen, nicht mehr in der Halle zu erscheinen, sondern am sehr frühen Abend zu essen. Entweder ließ sie sich etwas aus dem Küchenhaus geben und speiste mit Dunja in der Werkstatt, oder sie brach das Brot mit Alboin und Heda in deren Hütte. Die einstige Hure hatte sich zu einer ehrbaren Ehefrau gewandelt, die unablässig Gott, Alboin und dem Zauberer dankte und sich große Mühe gab, es allen dreien recht zu machen. Sie hätte Ezra gewiss auch zu späterer Stunde ein Mahl vorgesetzt, aber Ezra wollte die Gastfreundschaft nicht über Gebühr strapazieren, zumal Alboin meist bei Einbruch der Dunkelheit zu Bett ging. Er musste lange vor Tagesanbruch aufstehen, um sicherzugehen, dass die Feuer in Gießerei und Schmieden angemessen angefacht wurden.
    Da ließ ein Satz der vor ihr gehenden Männer Ezra aufhorchen: »Allah möge mir verzeihen, aber ich habe heute Mittag einen Schluck Wasser zu mir genommen.«
    Die Antwort des Emirs erfüllte sie mit großer Freude: »Allah wird dir verzeihen, Bruder. Wer den Ramadan auf Reisen in unwirtlichen Gegenden begeht, darf fremden Gerüchen und übermäßigen Anstrengungen mit einem Schluck Wasser begegnen.«
    Ezra sprach ein stummes Gebet. Danke, Allah. Wieder hatte er sie geführt und ihr den tatsächlichen Beginn des Ramadans eingegeben. Sie würde im nächsten Hochsommer nicht zu fasten brauchen.
    Lucas lächelte sie traurig an, als sie ihren Platz neben ihm an der Tafel einnahm.
    »Ich freue mich, dich hier zu sehen«, sagte er leise, setzte dann zögerlich nach: »Du hast immer noch keine Antwort von Xenia erhalten?«
    Ezra schüttelte den Kopf. Nach der Begegnung mit König Ludwig von Aquitanien hatte sie das Pergament nicht wieder hervorgeholt. Xenias Briefe übten großen Einfluss auf Lucas aus, und das hatte sie sich zunutze gemacht, um

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