Die Gabe des Commissario Ricciardi
deiner Nichten kommen. Ich möchte, dass du nie wieder allein bist, verstehst du? Wir können es uns leisten, und ich will es so.
Die Frau senkte den Blick. Dann grummelte sie:
– Wenn Sie sich eine Familie zugelegt hätten, wie es normal wäre, würden wir keine Nichte brauchen.
Rosa blieb Rosa, nichts konnte sie ändern, auch nicht eine zittrige Hand. Zum Glück.
– Da geht's schneller, wenn wir deine Nichte kommen las
sen, glaub mir. Ich bin in diesen Dingen ein bisschen langsam. Na komm, steh auf, ich hab' Hunger und muss zurück zur Arbeit.
Antonio Lomunno besah sich seine Hände. Leider waren sie für seine neue Lebenslage völlig ungeeignet.
Er hatte sich eingebildet, er werde sein Leben am Schreibtisch verbringen, regelmäßig befördert werden und eine glänzende Karriere hinlegen, das Schicksal werde ihm und seiner Familie zunehmenden Wohlstand bescheren. Doch dann war auf einmal alles aus gewesen, und jetzt wäre es nützlich, er verstünde sich auf irgendeine niedrige Arbeit, die ihm Geld einbringen würde.
Als Junge hatte er gern geschnitzt, diese Neigung aber nie gepflegt, weil es ihn, wie sein Vater sagte, vom Lernen abhielt. Damals hatte er sich kleine Armeen hergestellt, die er sonntags, wenn es regnete und man nicht im Hof spielen konnte, lange gegeneinander kämpfen ließ. Und nun diente seine alte Geschicklichkeit nur dazu, seinen Kindern eine Krippe zu bauen.
Er betrachtete das Ergebnis: ein unsinniger Luxus in einer Elendsbehausung, in der es an allem fehlte. Die Kinder beschwerten sich nie, nicht einmal dann, wenn der billige Fusel ihm die Sinne benebelte und er anfing, wegen Nichtigkeiten brüllend die ganze Welt zu verfluchen. Sie starrten ihn dann an, weinten aber nicht und rannten nicht vor ihm weg.
Sie hatten nur ihn, und er hatte nur sie.
In den langen, furchtbaren Monaten im Gefängnis hatte er sich in Gedanken an sie geklammert, und seine Liebe zu ihnen hatte ihn davor bewahrt durchzudrehen, als der Gefäng
nisdirektor ihm mitgeteilt hatte, was mit seiner Frau geschehen war.
Die Kinder, sicher, und das Verlangen nach Rache.
Zwei entgegengesetzte, gleich starke, gleich durchdringende Gefühle. In all den Nächten, in denen er wach gelegen und die Decke angestarrt hatte, während die Kakerlaken durch seine Zelle huschten und er Acht gab auf die rauen Hände, die sich nach ihm ausstreckten, hatten diese beiden Empfindungen ihn am Leben gehalten.
Als er aber aus dem Gefängnis entlassen wurde, standen sich die beiden Gefühle jedoch feindlich gegenüber: Wenn er seine Kinder großziehen, für sie die Hoffnung auf Rettung bewahren wollte, musste er auf die Rache verzichten.
Während er sich fertig machte, um zu der Übergangsarbeit zu gehen, die er sich gesucht hatte, dachte er an das vergossene Blut. Er dachte auch an sein eigenes Blut, das in den Adern der beiden leider zu früh alt gewordenen Kinder floss, die ihn beim Anziehen beobachteten.
Wieder besah er sich seine Hände und dachte, dass Fische auf dem Markt auf- und abzuladen etwas war, das er sehr wohl fertigbringen würde. So schwierig konnte es ja nicht sein. Und jede Arbeit war ehrenwert, wenn sie die Kinder ernährte.
Er nahm den heiligen Josef aus der Krippe. Die ursprüngliche Figur, die er früher in seiner schönen Wohnung gehabt hatte, war verloren gegangen. Diese hier hatte er geschnitzt und sie mit ein wenig Farbe bemalt. Auch du warst ein Vater, murmelte er. Ein Vater, der für seinen Sohn arbeitete, ohne viel Geschwätz oder Philosophie.
Er stellte die Figur zurück an ihren Platz zu den anderen und lächelte traurig. Zwischen den vielen Häuschen der Krippenlandschaft war auch Platz für Baracken wie seine.
Er stand auf, gab den Kindern einen Kuss und ging zum Markt.
L
Maione schnappte zwei Mal nach Luft wie eine frisch gefischte Seebarbe auf dem Boden eines Bootes. Fast war ihm, als sei etwas Übersinnliches geschehen, als sei Lucia an seiner Seite erschienen, nachdem er sie heraufbeschworen hatte. Als haben seine Gedanken sie in die Villa Nazionale getragen.
Er starrte sie an: Sie trug einen unterm Kinn festgebundenen Hut und den Mantel mit Pelzkragen, den er ihr vor vielen Jahren geschenkt hatte, der aber immer noch wie neu aussah, ihre Wangen waren rosig vor Kälte und ihre blauen Augen blickten in die Richtung, in die er selbst noch kurz zuvor geschaut hatte.
– Lucia, was machst du denn hier?
Seine Frau hatte die Lippen zusammengekniffen und sah entschlossen aus. Statt einer Antwort
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