Die Gabe des Commissario Ricciardi
23. Dezembers war, auf dem sich zwei Lager gegenüberstanden: die Käufer und die Verkäufer der unterschiedlichsten Waren. Noch der kleinste freie Platz wurde von Ständen besetzt, hinter denen die Kaufleute gegen die Kälte und die vom Meer kommende Feuchtigkeit ankämpften, indem sie sich bis unter die Augen mit allerlei Kleidungsstücken bedeckten.
Die Unbeschwertheit eines Parkspaziergangs wirkte sich auch auf das Warenangebot aus: Es gab Luftballons, Blech- und Holzspielzeug, Süßwaren, aber auch Zimmerschmuck, Keramik, farbenfrohe Ziergegenstände und Geschirr. Das Ergebnis war das übliche laute und bunte Stimmengewirr feilschender und ihre Ware anpreisender Menschen unter einem immer dunkleren Himmel, der nichts Gutes verhieß.
Maione brauchte eine Weile, um zu finden, wen er suchte: eine Familie wie so viele andere, ein junges Paar mit zwei kleinen Kindern. Er stellte seine Schrittgeschwindigkeit auf die der Candelas ein, blieb aber etwa hundert Meter hinter ihnen, verdeckt von einem Schleier aus Menschen, die sich mit einem letzten Spaziergang unter den Bäumen nahe des Meeres auf Weihnachten einstimmten.
Die Familie konnte sich keinen Kinderwagen leisten: Das Mädchen ging an der Hand der Mutter, der Kleine saß auf den Schultern des Vaters, der mit der Hand seine Füßchen hielt. Maione fiel auf, dass Biagios Kinder, anders als die meisten anderen, nicht beharrlich um Süßigkeiten oder Spielzeug bettel
ten. Vielleicht waren sie dazu erzogen worden, ihre Wünsche zu unterdrücken, oder sie waren einfach nur glücklich über den Spaziergang und brauchten nicht mehr als das.
Nach einer Weile hielten sie an einer freien Stelle an und setzten sich auf den Rasen, nicht weit von einer Bühne entfernt, auf der ein umgestaltetes und fröstelndes Orchester Opernarien spielte, ohne dass dazu gesungen wurde. Die Mutter zog aus einer Einkaufstasche ein Päckchen mit Brotstücken hervor und verteilte sie an Mann und Tochter, bevor sie irgendetwas in kleine Bröckchen brach, das sie dem Kleinen mit den Fingern zu essen gab. Maione bezog etwa 20 Meter hinter ihnen unter einem Baum Stellung.
Was tue ich hier?, fragte er sich. Was will ich von diesen Leuten? Warum beobachte ich sie, studiere ihre Bewegungen und Mienen?
Nicht indem ich ihnen weiter beim Leben zusehe, wird mir klarwerden, was ich tun will. Oder was ich tun muss. Es wird alles nur schlimmer machen. Zu wissen, wie er seine Kinder anlächelt, ihn dabei gesehen zu haben, wie er sich mit dem Mädchen im Gras rollt, so wie jetzt, oder wie er mit der linken Hand schnitzt, mit der Zungenspitze zwischen den Lippen wie ein kleiner Junge, oder sein Leben aufs Spiel setzt, um fremdes Geld vor dem Diebstahl zu bewahren, wird mir kein bisschen helfen.
Um ihn herum herrschte ein hektisches Gewusel, man befand sich in freudiger Erwartung, war enthusiastisch und optimistisch. Die Leute sahen fröhlich aus, Armut und Verzweiflung schienen weit weg, und doch waren sie da, unter der Oberfläche des bevorstehenden Fests, das nur allzu bald wieder vorbei sein würde.
Maione war durcheinander und verängstigt. Zum ersten Mal in seinem Leben tauschten Richtig und Falsch in seinem Inneren ständig die Plätze, verloren ihr Profil und verwandelten sich in schwammige Begriffe, die ebenso wenig greifbar waren wie der Ballon dort, der seinem kleinen Besitzer aus der Hand entschlüpft war und in den grauen Himmel flog.
Er spürte, wie kalt ihm war, und merkte, dass die Kälte von innen kam. Wie gern hätte er jemanden an seiner Seite gehabt, der ihm half. Traurig legte er sich eine Hand auf die Augen.
– Du könntest mit mir darüber reden. Früher hast du das gemacht, also warum nicht jetzt?
Er drehte sich um, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ganz dicht vor ihm erblickte er die blauen Augen seiner Frau.
XLIX
Ricciardi stürzte ins Wohnzimmer und fand Rosa in Tränen aufgelöst im Sessel sitzend, mit irgendetwas in der Hand. Als sie ihn sah, versuchte sie sofort, in aller Eile aufzustehen, während sie sich das Gesicht mit dem Schürzensaum trocknete, gab es dann aber auf.
– Was ist passiert?, – fragte Ricciardi besorgt. – Ist dir schlecht? Bist du hingefallen?
Rosa bemühte sich gar nicht erst, sich zu beherrschen. Schluchzend brachte sie hervor:
– Ich bin so unnütz … alt und unnütz, das bin ich … bald muss ich sicher ins Heim, so eins, wo man die Alten wie mich hinbringt … ich schaff's nicht mehr allein …
Ricciardi blickte sich um; er suchte nach
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