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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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neben der Vaterschaft die Arbeit, die Härte des Lebens und die täglichen Opfer dar, insbesondere wenn man Kinder aufzuziehen hat.
    Ricciardi stellte die Frage, auf die es ihm schon seit Beginn der Unterhaltung ankam:
    – Und wenn nun jemand die Absicht hatte, ausgerechnet diese Figur, den heiligen Josef also, zu entweihen, was glauben Sie, hat er wohl damit sagen wollen?
    Don Pierino strich sich mit der Hand nachdenklich übers Kinn.
    – Das ist sicher keine schöne Geste, Commissario. Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich eine Anspielung auf die Arbeit und auf die Vaterschaft. Vielleicht wollte derjenige sein Unbehagen darüber zum Ausdruck bringen, dass man ihm eines der beiden Rechte, insbesondere das Recht auf Arbeit, genommen hat. Der heilige Josef ist der Schutzpatron der Arbeiter. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.
    Lange Zeit betrachtete der Kommissar die Krippe. Etliche kleine Lämpchen und von den Gläubigen angezündete Kerzen beleuchteten sie. Dankbarkeit, Wünsche, Symbole, Heilige – welch komplizierte Stadt, dachte er.
    – Ich danke Ihnen, Pater. Vielleicht werde ich Sie nochmal brauchen, wir verfolgen gerade einen etwas komplizierten Fall.
    Don Pierino lächelte ihn selig an:
    – Für mich ist es immer eine große Freude, Sie zu sehen, Commissario. Sie wissen, wie ich über Sie denke: In Ihrem Herzen gibt es sehr viel Liebe, von der Sie selbst gar nichts wissen. Bis bald, besuchen Sie mich, wann immer Sie wollen.
    Don Pierino begleitete den Kommissar nach draußen bis zur Treppe der Kirche. Bevor er ging, drehte Ricciardi sich um und sagte:
    – Eine letzte Frage noch: Warum wurde der heilige Sebastian von so vielen Pfeilen getötet?
    Don Pierino überlegte.
    – Der heilige Sebastian, sagen Sie? Einer der ersten Märtyrer. Er war der Führer der Wachen Diokletians, eines römischen Kaisers und brutalen Christenverfolgers. Als der Imperator merkte, dass er zum christlichen Glauben konvertiert war, ließ er ihn an einen Pfahl anketten und von einer Einheit Bogenschützen durchbohren. Deshalb ist er so dargestellt, mit so vielen Pfeilen, die ihn treffen. Und darum ist er der Schutzpatron …
    – … der Miliz, ja, ich weiß. Vielen Dank, Pater. Sie sind mir immer eine große Hilfe.
    Als der Kommissar seines Weges ging, schauten ihm zwei Personen nach: Der Priester und eine hinter einem Rollgitter verborgene junge Frau.

XXII
    Bambinella ging zur Messe, seit er denken konnte.
    Schon als Kind war er jeden Sonntag in der Kirche gewesen, und so hielt er es auch heute. Manchmal ging er sogar unter der Woche hin, falls er aus irgendeinem Grund Lust hatte, sich Gott nahe zu fühlen.
    Er erinnerte sich noch an einen Priester, den er mit etwa zehn Jahren kennenlernte; damals spürte er bereits, dass er anders war als die übrigen Jungs seines Alters. Es war ein Anderssein, mit dem die Stadt schon immer lebte, bekannt und offensichtlich, doch er unterschied sich eben, und Kinder können, wie man weiß, sehr grausam sein. Bambinella floh also dorthin, wo er vor Verfolgung sicher war, und genoss die angenehme Kühle, den Duft des Weihrauchs.
    Der Priester setzte sich zu ihm und sprach mit ihm, als wäre er erwachsen. Er sprach vom Leben, davon, wie schwierig es sein konnte. Bambinella verstand ihn nicht, doch wenn er jetzt daran zurückdachte, glaubte er, dass Don Corrado, so hieß der Priester, ihm von seinem eigenen Anderssein erzählt hatte, auch wenn er nicht dieselbe Art gewählt hatte, damit zu leben. Der Priester gefiel ihm. Vielleicht hatte er sich sogar in ihn verliebt, aber es geschah nie etwas.
    Kurz darauf begannen die Männer, ihn anzufassen, und Bambinella entdeckte, dass es für ihn einfacher war, Frau als Mann zu sein und nicht länger zu verstecken, was mit aller Kraft zum Vorschein trat: in anmutigen Bewegungen, den langen Wimpern, den großen braunen Augen und in seinem Herzen.
    Zur Messe ging er aber immer noch. Das Halbdunkel spendete ihm Trost, er mochte den Weihrauchgeruch und erinnerte sich gerne an Don Corrado, der stundenlang mit ihm geredet hatte. Er ging früh hin, zum ersten Gottesdienst um sieben Uhr, zu dem auch die Leute kamen, die sonntags arbeiteten, und die Frömmlerinnen, die die vorderen Bänke in Beschlag nahmen und dort bis zum Abend ausharrten, zwischen den Messen ihre Rosenkränze aufsagten und leise miteinander tuschelten.
    Bambinella kannte jeden und jedermanns Geschichten. Sein Beruf wurde hingenommen, als gehöre er zum Leben, und in einem Mikrokosmos, in dem

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