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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Er liebte das Land und die Natur, konnte die Stadt aber nur selten verlassen. Er liebte auch das Meer, das ihm von Geburt aus fremd war, mit dem er jedoch rasch Freundschaft geschlossen hatte.
    Fräulein Vaccaro war eben zu den Folgen einer unangenehmen Gastritis übergegangen, auf deren bildreiche Beschreibung Don Pierino liebend gern verzichtet hätte, als er im Halbdunkel eines Seitenaltars eine bekannte Gestalt entdeckte. Eine, die ihm sehr lieb war.
    Er hatte Ricciardi bei den Ermittlungen zum Tod des Tenors Arnaldo Vezzi kennengelernt, da er in dem Fall als Zeuge ausgesagt hatte. Obwohl die beiden Männer sich hinsichtlich Charakter, Bildung, Vorlieben und Glauben sehr voneinander unterschieden, mochten und schätzten sie sich sehr. Don Pierino interessierten jene grünen, scheinbar kühlen Augen: Durch sie hindurch sah er bis in Ricciardis Innerstes, das aus Schmerzen und unendlichem Leid zu bestehen schien, wegen etwas, das er niemandem gestehen konnte.
    Der kleine fröhliche Pfarrer vermutete ein in einer furchtbaren Erinnerung verstricktes Herz, aber ein gütiges Herz voll Mitleid für seine Mitmenschen.
    Wenn Ricciardi zu ihm kam, musste es sich um etwas sehr Dringendes handeln. Und Fräulein Vaccaro würde ihre Gastritis sicher auch ohne ihn überleben. Er sagte ihr, er müsse jemandem die Beichte abnehmen, der möglicherweise einen Mord bei einem Raubüberfall begangen habe, was, wie er wusste, ein persönliches Schreckensszenario der alten Dame war. Die Frau bekam große Augen – auf keinen Fall wollte sie von dem Verbrecher erkannt werden. Und schon machte sie sich, trotz Arthritis, überraschend flink aus dem Staub.
    Während er Gott in Gedanken um Vergebung für die kleine Lüge bat, ging Don Pierino beschwingt auf Ricciardi zu.
    – Commissario, wie ich mich freue! Wie geht es Ihnen? Ich habe von Ihrem Unfall erfahren und bin sofort hin zum Krankenhaus, aber sie waren schon nach Hause gegangen – entgegen der Empfehlung des Doktors. Ganz schön kalter Wind draußen, was? Andererseits kann es an Weihnachten kaum heiß sein.
    Ricciardi erwiderte den Gruß des Priesters mit einem kur
zen Druck seiner unruhigen Hand, die er gleich zurück in die Tasche steckte.
    – Don Pierino. Ich freue mich auch, das wissen Sie. Und es tut mir leid, dass ich mich eine ganze Weile nicht habe blicken lassen, aber … na ja, Sie haben ja davon gehört. Wie geht es Ihnen?
    Der Pfarrer lächelte. Seine Hände hatte er über dem Bauch verschränkt.
    – Oh, mir geht's gut. Das Leben geht seinen Gang, also kein Grund zur Klage. Sie sehen bestimmt Schlimmeres als ich, da draußen auf den Straßen, und wissen, dass wir beide uns nicht beschweren können.
    – Sehr richtig. Ich bin hier, weil ich ein paar Informationen bräuchte, wie üblich. Haben Sie eine Minute Zeit für mich?
    – Aber natürlich, sicher … Sie haben mich von der alten Dame erlöst, die Sie vorhin gesehen haben, also bin ich jetzt ganz für Sie da. Nur frei heraus mit den Fragen.
    Ricciardi nutzte das freundliche Entgegenkommen des Pfarrers und legte gleich los:
    – Können wir uns ein wenig über die Krippe unterhalten?
    Don Pierino lächelte glücklich wie ein Kind, dem man ein Eis in Aussicht stellt.
    – Sicher doch. Kommen Sie, folgen Sie mir. Bitte sehr.
    Er hakte Ricciardi unter, der ihn, obwohl er kein Riese war, deutlich überragte, und führte ihn etwa zehn Meter weiter zu einem der Seitenaltare, wo eine Krippe aufgebaut worden war. Die Konstruktion nahm eine Fläche von mehreren Quadratmetern ein: Vorne befanden sich große antike Hirtenfiguren, deren Maße zur Mitte hin schrumpften, wodurch der Eindruck räumlicher Tiefe entstand. Ricciardi konnte nicht umhin, erstaunt zu sein.
    Don Pierino hüpfte wie ein kleiner Junge.
    – Schön, nicht? Ist sie nicht wunderschön? Ich kümmere mich selbst darum, ein paar Kinder aus der Pfarrei helfen mir dabei. Viele der Figuren sind sehr alt, sie gehören der Kirche seit Jahrhunderten; andere haben wir erst in den letzten Jahren geschenkt bekommen. Wieder andere haben wir gekauft oder sind von Leuten aus der Pfarrei hergestellt worden, die sehr geschickt mit Nadel und Faden oder mit Ton umgehen können.
    Ricciardi betrachtete das Kunstwerk fasziniert:
    – Sehr bemerkenswert, Pater. Wirklich schön, mein Kompliment. Haben die Figuren eigentlich eine symbolische Bedeutung? Ich meine, stehen sie für etwas?
    Don Pierino nickte, ohne den Blick von der Miniaturlandschaft abzuwenden.
    –

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