Die Gabe des Commissario Ricciardi
eines Arbeitskollegen.
Und sie erzählte von ihrem Versprechen an die Madonna von Pompeji, ihn nicht mehr wiederzusehen, wenn er gerettet würde.
Schon nach den ersten Worten über den Unfall war Don Pierino ein Verdacht gekommen: Ein Zusammenhang mit dem, was seinem Freund Ricciardi zugestoßen war, schien ihm wirklich zu absurd. Als Enrica aber weitererzählte, erwachte in ihm die leise Hoffnung, den sonderbaren, hoffnungslosen Mann mit den grünen Augen doch noch glücklich und geliebt zu sehen. So ein schönes Weihnachtsgeschenk, sagte sich Don Pierino. Oder besser gesagt ein wunderbares Geschenk, das Weihnachten ihm da gemacht hatte.
Während Enrica weitererzählte, arbeitete der Verstand des Priesters schnell: Sie sagte, dass sie sich an das Versprechen gebunden fühle, obwohl die Kinderfrau zu ihr gekommen sei, um sie davon zu überzeugen, nicht aus dem Leben des jungen Herrn zu verschwinden, dass sie unsicher sei, weil sie die Gefühle des Mannes nicht genau kenne und die Frau, die sie bei ihm gesehen hatte, für ihn als Partnerin vielleicht geeigneter sei als sie, dass sie allerdings, obwohl die Vernunft ihr all diese Dinge eingab, wenn sie abends darauf verzichtete, die Fensterläden zu öffnen, das Gefühl habe zu sterben.
– Was soll ich bloß tun? Ich habe ein Versprechen gegeben und Sie werden sicher sagen, dass ich es halten muss. Ich habe es freiwillig abgegeben und würde es auch wieder tun. Warum fühle ich mich dann so elend?
Don Pierino faltete die Hände vor seinem Gesicht und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick vollkommen entschlossen.
– Mein Fräulein, Sie haben der Madonna etwas versprochen, was nicht Ihnen gehörte. Sie haben die Liebe eines anderen Menschen geopfert, seine Einsamkeit und sein und Ihr Unglück versprochen. So etwas möchte weder die Madonna, noch möchte es Gott für seine Kinder.
Enrica hörte ihm mit weit aufgerissenen Augen zu, die rot vor Tränen und Schlaflosigkeit waren.
– Ich bin sicher, dass Sie in Ihrem Herzen bereits wissen, was richtig und was falsch ist. Unser Glaube ist nicht dazu da, der Liebe Grenzen zu setzen, sie einzuschränken oder zu verhindern. Er ist dazu da, neues Leben zu schaffen, sich hinzugeben und gemeinsam zu leben, Familien zu gründen, damit wir in schweren Zeiten nicht allein sind. Wie könnte Gott es
vorziehen, jemanden zur Einsamkeit zu verdammen, der Liebe empfinden kann?
Die junge Frau hing verzückt an den Lippen des Priesters.
– Sie meinen also … das heißt, ich soll …
– Sie sollten für Ihr Glück kämpfen, wie alle Menschen es immer tun. Und dabei natürlich die anderen achten und Ihren Nächsten und das Leben lieben, das unser allergrößtes Geschenk ist. Sie sollten demjenigen, der vielleicht nicht wagt, Sie anzusprechen, zureden und zuhören, zulächeln und ihm alle Liebe zeigen, die Sie empfinden.
Enrica lächelte nun. Don Pierino fand, dass sie dabei vollständig den Ausdruck wechselte, als wäre jede Faser ihres Körpers daran beteiligt.
– Ich sollte mich also bemühen, Mut fassen und für mein Glück kämpfen, richtig? Ich sollte die Initiative ergreifen.
Der Priester merkte, dass die junge Frau nicht mehr zu ihm, sondern mit sich selbst sprach. Er lehnte sich wieder bequem zurück, faltete die Hände vor dem Bauch und sah zufrieden aus.
– Das haben Sie genau richtig verstanden. Falls er aber nicht wollen und seine Wahl anders ausfallen sollte, so werden Sie einen anderen Weg finden, um glücklich zu sein, denn es gibt mehr als einen Weg, glauben Sie mir. Für Sie ist es am wichtigsten, sicher zu sein, alles in Ihrer Macht Stehende getan zu haben, um glücklich zu werden. Ganz einfach, nicht?
Enrica stand auf. Ihre Augen leuchteten.
– Ja, wirklich. Ich habe das nie so gesehen, konnte es irgendwie nicht sehen. In Wahrheit ist alles so einfach. Wenn man glücklich sein möchte, muss man sich anstrengen, um es zu werden. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Vielen, vielen Dank.
Don Pierino lächelte:
– Ich danke Ihnen, dafür, dass Sie mich ins Vertrauen gezogen haben. Und bitte: Halten Sie mich auf dem Laufenden.
XLI
Es war nun richtig kalt.
Maione und Ricciardi kamen steif gefroren im Largo del Leone an, obwohl es windstill war und sie die ganze Zeit schnell gegangen waren, um sich aufzuwärmen. Der Brigadiere versuchte schon gar nicht mehr, eine Straßenbahnfahrt vorzuschlagen; den Kopf im Mantelkragen und raschen Schrittes machte sich sein Vorgesetzter direkt zu
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