Die Gabe des Commissario Ricciardi
sich am Türpfosten fest, während Ricciardi fast mit dem durchscheinenden Abbild der Frau zusammenstieß, die mit gesenktem Blick lächelnd fragte: Hut und Handschuhe? Wellen schwarzer Flüssigkeit schwappten aus dem tödlichen Schnitt.
– Gütiger Himmel, ist das denn … Blut da?
Ricciardi studierte den Gesichtsausdruck des Pförtners; er schien kein Theater zu spielen: Er war blass geworden und sah aus, als würde er jeden Augenblick ohnmächtig zu Boden fallen.
Maione ging auf ihn zu und fasste ihn am Arm.
– Kommen Sie, Ferro. Bringen Sie uns ins Schlafzimmer.
Der Mann folgte dieser Aufforderung nicht gleich; stattdessen hielt er sich eine Hand vors Gesicht, als wolle er das Blut nicht sehen. Dann durchmaß er mit wackeligen Schritten den Flur. Ricciardi folgte ihm mit seinem Blick und bemerkte, dass er die Wohnung offensichtlich kannte. Davon abgesehen, dass er mitgenommen war, bewegte er sich ziemlich sicher. Dem Kommissar fiel auf, dass er sehr genau darauf achtete, wo er seine Füße hinsetzte, um den Blutflecken auszuweichen, die den Weg von einer Leiche zur anderen wiesen, obwohl sie in der Dunkelheit kaum zu sehen waren.
Im Schlafzimmer angelangt, ließ Ferro sich beim Anblick
des riesigen dunklen Flecks auf dem Bettlaken mit einem Klagelaut in einen kleinen Sessel fallen.
– Ach du meine Güte! Heilige Mutter Gottes, steh uns bei.
Ricciardi drehte Garofalos Abbild den Rücken zu und wandte sich an den Pförtner:
– Ich wollte, dass Sie es mit eigenen Augen sehen, Ferro. Und frage Sie, ob Sie irgendeine Ahnung haben, wer es gewesen sein könnte.
Der Pförtner begann leise zu weinen. Den Blick fest auf den Blutfleck gerichtet, murmelte er:
– Niemand, Commissario. Wenn ich jemanden kennen würde, der fähig ist, so etwas zu tun, würde ich schleunigst das Weite suchen, glauben Sie mir. Und das arme Mädchen, es war so hübsch an dem Morgen, mit seinen Zöpfen … und jetzt wird es seine Eltern nie mehr sehen. Zenturio Garofalo war … na ja, er war nicht ganz einfach, möge er in Frieden ruhen. Mag sein, dass ihn nicht alle mochten und sich die Leute über ihn aufregten, aber ihn so umzubringen … da fällt mir niemand ein. Absolut niemand.
Und doch hat es ganz offensichtlich jemanden gegeben, dachte Ricciardi.
– Gehen wir durch die übrigen Zimmer. Vielleicht ist etwas gestohlen worden, an das Sie sich erinnern und von dem wir nichts wissen können.
Er wollte sehen, ob der Mann irgendeine Reaktion zeigte. Die Polizei hatte bereits alles in Augenschein genommen; wenn etwas gefehlt hätte, wäre das anhand leerer Stellen auf den Möbeln oder an den Wänden aufgefallen.
Ferro schien erleichtert, den Tatort verlassen zu können, und führte Maione und Ricciardi in die übrigen Zimmer, stumm
und mit mechanischem Gang. Bei der Krippe im Nebenraum des Schlafzimmers seufzte er kurz, doch nichts deutete darauf hin, dass er das Fehlen des heiligen Josefs bemerkte oder ihm auffiel, dass die Jungfrau Maria auf den Esel gekippt war.
Sie beendeten ihren Rundgang und fanden sich schließlich am Eingang wieder. Beim Anblick der Spuren von Signora Garofalos Leiche hielt Ferro den Atem an, stieg darüber und trat hinaus auf den Treppenabsatz, wo er hörbar einatmete. Er zog eine zerknitterte Zigarette aus der Tasche, versuchte, sie mit einem Streichholz anzuzünden, schaffte es aber nicht, weil seine Hand zitterte; nach einer Weile gab er es auf und erbrach sich schließlich in eine Ecke der breiten Treppe.
XLII
Sie beschlossen, am Meer entlangzulaufen. Die Kälte war überall gleich und es gab keinen Wind, vor dem man zwischen den Bäumen der Villa Nazionale Schutz suchen musste; also konnten sie sich auch den Anblick des Sonnenuntergangs über dem endlich ruhigen Meer gönnen.
Ferros Reaktion und die spärlichen Informationen, die sie von ihm erhalten hatten, waren das Thema der wenigen Sätze, die Maione und Ricciardi auf ihrem Weg miteinander wechselten.
– Mir kam er ehrlich verstört vor. Er hat's nicht gepackt, man hat gemerkt, dass er kein Blut gewohnt ist.
Ricciardi allerdings war unschlüssig.
– Ein bisschen theatralisch, seine Reaktion, findest du nicht? Außerdem war er heute nüchtern. Was dir passiert, wenn du betrunken bist, wirkt anders, wenn du es nach dem Rausch wiedersiehst. Ich weiß nicht. Als wir an der Krippe vorbeigegangen sind, hat er keinerlei Reaktion gezeigt.
– Stimmt. Und er hat zugegeben, die Boccias gesehen zu haben, als sie kamen, um mit Garofalo zu
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