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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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leicht, jetzt aufzugeben. Er wog das empfindliche Pergament in seiner Hand, spürte das geringe Gewicht, das leicht ölige Gefühl seiner Oberfläche, das raue Gewebe des Bandes, mit dem es zusammengebunden war. Es wäre leicht und ziemlich verzweifelt.
    Er hob den Kopf. Der Himmel wurde allmählich heller, und vom See her frischte der Wind auf. Es würde bald regnen, wie häufig um diese Jahreszeit, wenn der Nordwind wehte. Der Regen würde die Stadt reinigen, ihren gewürzgeschwängerten Atem erfrischen. Er löste das Band und rollte das Pergament auseinander.
    So leicht.
    Mit langsamen, überlegten Bewegungen riss der Mann das Blatt in kleine Stücke. Er ließ die Pergamentschnipsel fallen, und sie wehten davon, verschwanden im Zwielicht des im Schatten liegenden Seeufers. Die Wogen nahmen sie mit hinaus, wo sie wie Ascheflöckchen auf der Dünung tanzten.
    Plötzlich hatte er das Gefühl, irgendwo in seinem Hinterkopf - eine sich drehende Münze zu hören. Es war ein trauriges Geräusch.
    Einige Minuten später verließ er den Pier. Der Agent des Aals würde auf seinem Morgenspaziergang feststellen, dass sein Kontaktmann nicht da war, und einfach weitergehen.
    Er schritt die Seeuferstraße entlang, und der Hügel mit der Majestäts-Halle schrumpfte hinter ihm zusammen. Noch während er dahinschritt, erschienen die ersten Seidenhändler und breiteten ihre Waren auf dem breiten, gepflasterten Gehsteig aus. Unter den verschiedenen Seidenstoffen erkannte der Mann die lavendelfarbenen Zwirne und Ballen aus Illem, die blassgelben aus Setta und Lest -zwei Städte im Südosten, die im vergangenen Monat vom Pannionischen Seher annektiert worden waren, wie er gehört hatte - und die schweren, auffälligen Zwirne aus Sanmarkan. Die Auswahl war geschrumpft: Der Handel mit dem Norden war zum Erliegen gekommen, seit er von den Malazanern beherrscht wurde.
    Als er die Grenze zum Duftenden Gehölz erreichte, wandte er sich vom See ab und dem Stadtinnern zu. Vier Straßen weiter wartete sein Zimmer im zweiten Stock einer heruntergekommenen Mietskaserne, grau und schweigend in der aufziehenden Morgendämmerung, die dünne, verzogene Tür verschlossen und verriegelt. In jenem Zimmer war kein Platz für Erinnerungen; nichts, was ihn im Auge eines Magiers kennzeichnen könnte oder einem scharfsinnigen Jäger Einzelheiten über sein Leben verraten würde. In jenem Raum war er vollkommen anonym - sogar für sich selbst.
     
    Lady Simtal schritt erregt auf und ab. In den letzten Tagen hatte sie zu viel von ihrem hart errungenen Gold verbrauchen müssen, um die Wogen zu glätten. Lims Frau, diese verdammte Schlampe, hatte trotz ihrer Trauer ihren Ehrgeiz nicht vergessen. Nur zwei Tage lang hatte sie die schwarze Trauerkleidung getragen und sich sodann am Arm dieses Stutzers Murillio wieder auf allen möglichen Empfängen gezeigt, selbstgefällig wie eine Hure auf einem Ball.
    Simtals getuschte Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. Murillio. Dieser junge Mann hatte schon eine Art, sich in Szene zu setzen. Alles in allem mochte es sich durchaus lohnen, sich seiner anzunehmen.
    Sie blieb stehen und betrachtete den Mann, der ausgestreckt auf ihrem Bett lag. »Du hast also nichts herausgefunden.« Ein Hauch von Verachtung hatte sich in ihren Ton geschlichen, und sie fragte sich, ob er es wohl bemerkt hatte.
    Ratsherr Turban Orr rührte sich nicht, als er antwortete, den mit tiefen Kratzern übersäten Unterarm quer über die Augen gelegt. »Ich habe dir doch schon alles erzählt. Niemand weiß, woher der vergiftete Bolzen gekommen ist, Simtal. Zur Hölle, ein vergifteter Bolzen! Welcher Assassine benutzt heutzutage noch Gift? Vorcan hat sie doch so mit Magie voll gestopft, dass alles andere überholt ist.«
    »Du schweifst ab.« Sie war beruhigt, dass er nichts von ihren wahren Gefühlen bemerkt hatte, die sie durch ihre Unachtsamkeit fast verraten hätte.
    »Es ist genau so, wie ich gesagt habe«, fuhr Orr fort. »Lim hatte mehrere ... delikate Unternehmungen am Laufen. Der Mord hat wahrscheinlich gar nichts mit dir zu tun. Es hätte auf allen möglichen Baikonen passieren können; es war reiner Zufall, dass es gerade deiner war.«
    Lady Simtal verschränkte die Arme. »Ich glaube nicht an Zufälle, Turban. Und außerdem - ist es für dich dann auch Zufall, dass sein Tod eure Mehrheit zu Fall gebracht hat, ausgerechnet in der Nacht vor der entscheidenden Abstimmung?« Sie sah, wie in seiner Wange ein Muskel zuckte, und wusste, dass sie ins

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