Die Gärten des Mondes
auch nicht nur in der Sphäre der Menschen. Nein, sie hatten Moral als ein Gebot des Lebens an sich proklamiert, als ein Naturgesetz, das weder dem brutalen Gebaren der Tiere entsprach, noch den hochmütigen Zielen der Menschheit, sondern das etwas ganz anderes war, etwas Unangreifbares.
Nur eine weitere Suche nach Gewissheit. Paran blickte finster drein und spannte sich im Sattel an, die Augen auf den Handelsweg gerichtet, der sich vor ihm durch die niedrigen, runden Hügel wand. Er erinnerte sich daran, wie er dieses Thema mit Mandata Lorn diskutiert hatte; zu jenem Zeitpunkt waren sie noch nicht vom Druck der Außenwelt gefangen gewesen. Nur eine weitere Suche nach Gewissheit, hatte sie gesagt, und ihre Stimme hatte reizbar und zynisch geklungen. Sie hatte die Diskussion mit diesen Worten so unmissverständlich beendet, als hätte sie ein Messer in den von Weinflecken übersäten Tisch zwischen ihnen gerammt.
Schon damals, als Paran diese Worte aus dem Munde einer Frau gehört hatte, die nicht älter war als er selbst, war in ihm der Verdacht entstanden - und diese Überzeugung hatte sich seither nicht geändert -, dass ihre spezielle Sicht der Dinge nichts anderes war als ein einfaches, träges Nachplappern der Sicht von Imperatrix Laseen. Nur, dass Laseen ein Recht dazu hatte, und Lorn nicht. Zumindest war das Parans Meinung. Wenn irgendjemand ein Recht auf weltverdrossenen Zynismus hatte, dann die Imperatrix des malazanischen Imperiums.
Natürlich war die Mandata zu Laseens verlängertem Arm geworden. Doch um welchen Preis? Er hatte die junge Frau hinter der Maske nur ein einziges Mal gesehen, damals, als sie vor dem Massaker an der Küstenstraße gestanden und sich zwischen Leichen und Pferdekadavern hindurch ihren Weg gesucht hatten. Damals war für einen einzigen flüchtigen Moment das bleiche, erschreckte Mädchen namens Lorn zum Vorschein gekommen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, was die Maske zurückgebracht hatte - möglicherweise war es etwas gewesen, was er gesagt hatte, ein paar Worte, die er in seiner eigenen Maske als harter Soldat einfach so hingeworfen hatte.
Paran seufzte schwer. Es gibt zu vieles zu bedauern. Zu viele verpasste Gelegenheiten - und mit jeder Einzelnen haben wir ein bisschen mehr Menschlichkeit verloren, sind ein bisschen tiefer in den Albtraum der Macht hinabgesunken.
War sein Leben unrettbar verloren? Er wünschte sich, er hätte eine Antwort auf diese Frage.
Eine Bewegung im Süden erregte seine Aufmerksamkeit, und im gleichen Augenblick nahm er ein grollendes Geräusch wahr, das von der Erde um ihn herum aufstieg. Er stellte sich in den Steigbügeln auf. Eine Wand aus Staub wälzte sich über den Kamm der Hügelkette direkt vor ihm. Er lenkte sein Pferd nach Westen und ließ es in Trab fallen. Nur wenige Augenblicke später zog er die Zügel an.
Auch in dieser Richtung hing ein Vorhang aus Staub. Fluchend galoppierte er auf die Kuppe eines nahe gelegenen Hügels. Staub. Überall Staub. Ein Sturm? Nein, dazu ist das Donnern zu gleichmäßig. Er ritt wieder zur Ebene hinab und zügelte dann erneut sein Reittier, fragte sich, was er tun sollte. Die Wand aus Staub wuchs in die Höhe, kletterte über den Hügel vor ihm. Das tiefe Rumpeln wurde lauter. Paran starrte in den Staub. Dunkle, massige Gestalten bewegten sich dort, schwärmten nach allen Seiten aus, kamen dann herunter und auf seinen Standort zu. Binnen weniger Augenblicke war er umzingelt.
Bhederin. Er hatte Geschichten über die großen, zottigen Kreaturen gehört, die in Herden von einer halben Million Tieren über die Ebenen im Landesinnern wanderten. Wohin er auch blickte - er sah nichts anderes als die buckligen, rötlichbraunen staubbedeckten Rücken der Tiere. Er konnte sein Pferd nirgendwo hinlenken; weit und breit war kein Ort in Sicht, der Schutz hätte bieten können. Paran lehnte sich im Sattel zurück und wartete.
Links von ihm blitzte knapp über dem Boden etwas lohfarben auf. Der Hauptmann drehte sich halb zur Seite, und im gleichen Moment rammte ihn etwas Schweres von rechts, klammerte sich an ihn, zerrte ihn aus dem Sattel. Paran fluchte, als er hart auf dem Boden aufkam und gleichzeitig mit etwas ringen musste, das aus drahtigen Gliedmaßen und struppigem schwarzem Haar bestand. Er riss ein Knie hoch, traf in eine Magengrube. Sein Angreifer rollte keuchend zur Seite. Paran kämpfte sich auf die Beine und sah sich einem Jugendlichen in gegerbten Fellen gegenüber, der sofort mit einem
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