Die Gärten des Mondes
dem zerschlagenen Gesicht lag ein paar Schritte entfernt reglos am Boden. Der Hauptmann sah, dass sein Reittier und sein Packpferd unversehrt waren und sich nicht bewegt hatten. Die anderen Rhivi hatten sich ein Stück zurückgezogen. Der Kreis öffnete sich jetzt an einer Stelle, um eine kleine Gestalt durchzulassen.
Ein Mädchen, vielleicht höchstens fünf Jahre alt. Die Krieger machten ihr beinahe ehrfürchtig Platz, doch vielleicht war es auch Furcht, oder eine Mischung aus beidem. Sie trug ein Antilopenfell, das von einem Stück Schnur um ihre Hüfte gehalten wurde, und war barfuß.
Sie hatte etwas Vertrautes an sich - die Art, wie sie ging, ihre Haltung, als sie vor ihm stehen blieb, etwas in ihren Augen unter den schweren Lidern -, so dass Paran unbehaglich die Stirn runzelte.
Das Mädchen blieb stehen, um ihn anzusehen, und auf der Stirn ihres kleinen, runden Gesichts bildete sich nach einiger Zeit eine Falte, die fast ein Spiegelbild von Parans eigener gefurchter Stirn hätte sein können. Sie hob eine Hand, als wollte sie sie nach ihm ausstrecken, und senkte sie wieder. Der Hauptmann merkte, dass er den Blick nicht von ihr abwenden konnte. Kenne ich dich, Kind?
Als die Stille zwischen ihnen sich ausdehnte, trat eine alte Frau zu dem Mädchen und legte ihr eine runzlige Hand auf die Schulter. Sie wirkte erschöpft, fast aufgebracht, während sie den Hauptmann musterte. Das Mädchen neben ihr sagte etwas in der schnellen, singenden Sprache der Rhivi; ihre Stimme klang für ein so kleines Kind überraschend tief. Die alte Frau verschränkte die Arme. Das Mädchen sprach erneut, eindringlich.
Die alte Frau redete Paran auf Daru an. »Fünf Lanzen haben dich als unseren Feind bezeichnet.« Sie machte eine kurze Pause. »Fünf Lanzen hatten Unrecht.«
»Ihr habt noch viele andere«, erwiderte Paran.
»Das haben wir, und der Gott, der dein Schwert begünstigt, hat hier keine Anhänger.«
»Dann bringt es zu Ende«, knurrte Paran. »Ich bin des Spiels überdrüssig.«
Das Mädchen sagte erneut etwas. Ihre Stimme hatte einen befehlenden Tonfall, klang wie Eisen auf Stein. Die alte Frau drehte sich überrascht um.
Das Mädchen sprach weiter; ihre Worte waren jetzt offensichtlich erklärend. Die alte Frau hörte zu, dann richtete sie den Blick ihrer dunklen, glitzernden Augen wieder auf den Hauptmann. »Du bist ein Malazaner, und die Malazaner haben beschlossen, die Feinde der Rhivi zu sein. Ist dies auch deine Wahl? Du solltest wissen, dass ich eine Lüge sofort erkenne, wenn ich sie höre.«
»Ich bin als Malazaner geboren«, sagte Paran. »Doch ich habe kein Interesse daran, die Rhivi als meine Feinde zu bezeichnen. Ich würde am liebsten überhaupt keine Feinde haben.«
Die alte Frau blinzelte. »Sie bietet dir Worte, um deinen Kummer zu lindern, Soldat.«
»Und das bedeutet?«
»Du wirst leben.«
Paran traute dieser neuen Entwicklung noch nicht so recht. »Was für Worte hat sie für mich? Ich habe sie noch nie gesehen.«
»Auch sie hat dich niemals zuvor gesehen. Und dennoch kennt ihr einander.«
»Nein, das tun wir nicht.«
Die Augen der alten Frau wurden hart. »Willst du ihre Worte hören oder nicht? Sie bietet dir ein Geschenk an. Willst du es ihr ins Gesicht werfen?«
Beklommen entgegnete Paran: »Nein, ich glaube nicht.«
»Das Kind sagt, du brauchst nicht zu trauern. Die Frau, die du kennst, ist nicht durch die Gekrümmten Bäume des Todes gegangen. Ihre Reise hat sie über die Länder, die du sehen kannst, hinausgeführt, auch über jene des Geistes, die alle Sterblichen spüren. Jetzt ist sie zurückgekehrt. Du musst Geduld haben, Soldat. Ihr werdet Euch wieder treffen, das hat dieses Kind versprochen.«
»Welche Frau?«, wollte Paran wissen. Sein Herz klopfte wild.
»Die, von der du gedacht hast, sie wäre tot.«
Er sah das Mädchen erneut an. Die Vertrautheit war wieder da, traf ihn wie ein Schlag gegen die Brust. Er stolperte einen Schritt zurück. »Das ist unmöglich«, flüsterte er.
Das Mädchen zog sich zurück; Staub wirbelte auf. Und dann war sie verschwunden.
»Warte!«
Ein weiterer Schrei ertönte. Die Herde setzte sich in Bewegung, kam näher, verdeckte die Rhivi. Augenblicke später konnte Paran nichts anderes sehen als die Rücken der riesigen Tiere, die weitertrotteten. Er wollte sich zwischen ihnen hindurchdrängen, doch er wusste, dass das nur seinen Tod bedeuten würde.
»Warte!«, schrie er noch einmal, doch das Dröhnen von hunderten - tausenden - von
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