Die Gärten des Mondes
Schatten sehe«, sagte er und lehnte sich wieder zurück. »Na, egal, wir sind sowieso bald hier weg.«
Es war ein Zeitalter des Windes, der unter einem zinnfarbenen Himmel über die grasbewachsenen Ebenen strich, ein Wind, dessen Durst alles Leben angriff, gedankenlos und unerbittlich wie ein Tier, das sich selbst nicht kannte.
Für Raest, der sich in den Spuren seiner Mutter abmühte, war es die erste Lektion in Sachen Macht. In der Jagd nach Vorherrschaft, die sein Leben formen sollte, erkannte er die vielen Arten des Windes wieder - wie er über hunderte, ja tausende von Jahren hinweg unmerklich Steine formte oder als wütender Sturm ganze Wälder dem Erdboden gleichmachte -, und er stellte fest, dass die gewalttätige Kraft, die der Wut des Windes innewohnte, ihm von allem am nächsten stand.
Raests Mutter war die Erste gewesen, die vor seinem vorsätzlichen Formen der Macht geflohen war. Sie hatte ihn von Angesicht zu Angesicht verleugnet, hatte ihn nicht länger als Blutsverwandten anerkannt und ihn so befreit. Dass sie bei jenem Ritual selbst zerbrochen war, beachtete er nicht weiter. Es war unwichtig. Als derjenige, der herrschen würde, musste er sich früh mit der Tatsache vertraut machen, dass jene, die sich seinem Befehl widersetzten, vernichtet werden mussten. Sie musste den Preis für ihr Versagen bezahlen, nicht er.
Während die Jaghut die Gemeinschaft fürchteten und die Gesellschaft als die Geburtsstätte der Tyrannei bezeichneten - der Tyrannei von Körper und Geist - und ihre eigene blutige Geschichte als Beweis dieser These heranzogen, entdeckte Raest, dass er geradezu danach hungerte. Die Macht, über die er verfügte, bezog sich auf seine Untertanen. Stärke war immer relativ, und ohne die Gemeinschaft der Beherrschten war es ihm unmöglich zu herrschen.
Zuerst versuchte er, andere Jaghut zu unterjochen, aber meist entkamen sie ihm, oder er war gezwungen, sie zu töten. Solche Kämpfe verschafften ihm nur vorübergehend Befriedigung. Raest versammelte Tiere um sich, unterwarf die Natur seinem Willen. Doch die unterjochte Natur verdorrte und starb ab, und sie schuf sich solcherart einen Fluchtweg, den er nicht kontrollieren konnte. In seiner Wut verwüstete er das Land, löschte zahllose Spezies aus. Die Erde leistete ihm Widerstand, und ihre Macht war gewaltig. Doch sie war nicht zielgerichtet und konnte daher Raest mit ihren zeitlosen Wogen nicht überwältigen. Seine Macht war äußerst konzentriert, präzise in ihrer Vernichtungskraft und durchdringend in ihrer Wirksamkeit.
Und dann kreuzte der erste T'lan Imass seinen Weg; der Erste eines Volkes, dessen Mitglieder sich seinem Willen widersetzten, gegen die Sklaverei ankämpften und dennoch weiterlebten. Kreaturen voller grenzenloser und bedauernswerter Hoffnung. Sie waren es, die Raest den Ruhm der Herrschaft bescherten, und mit jedem Imass, der zerbrach, nahm er einen weiteren Sklaven. Ihre Verbindung zur Natur war gering, denn in ihren eigenen Landen spielten die Imass selbst das Spiel der Tyrannei. Sie konnten ihn nicht besiegen.
Er formte so etwas wie ein Imperium, ohne Städte, doch geplagt von den endlosen Dramen einer Gemeinschaft, ihren pathetischen Siegen und unausweichlichen Fehlschlägen. Die Gemeinschaft versklavter Imass gedieh in diesem Sumpf der Kleinmütigkeit. Es gelang ihnen sogar sich einzureden, dass sie Freiheit besaßen, einen eigenen Willen, mit dem sie ihr Schicksal selbst gestalten konnten. Sie erwählten sich Helden. Sie stürzten ihre Helden, sobald auch nur der Hauch eines Misserfolgs um sie war. Sie rannten ununterbrochen im Kreis und nannten es Wachstum, Entstehen, Wissen. Währenddessen ließ Raest, dessen Präsenz sie nicht wahrnehmen konnten, seinen Willen über ihnen spielen. Die größte Freude wurde ihm zuteil, als seine Sklaven ihn zu ihrem Gott ernannten - obwohl sie ihn noch nicht einmal kannten - und als sie Tempel erbauten, um ihm zu dienen, und Priesterorden schufen, deren Handlungen Raests Tyrannei mit solch kosmischer Ironie nachahmten, dass der Jaghut nur den Kopf schütteln konnte.
Dieses Imperium hätte tausende von Jahren überdauern sollen, und er selbst hätte für seinen Untergang sorgen müssen, wenn er seiner Schöpfung schließlich überdrüssig gewesen wäre. Raest hätte niemals geglaubt, dass andere Jaghut sein Tun abstoßend finden könnten, und dass sie um dieser kurzlebigen kleingeistigen Imass willen alles daransetzen würden ... dass sie tatsächlich ihr Leben, ihre
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