Die Gärten des Mondes
Imperiums in Fahl befand, als ein junger Soldat sie abfing. Der verwirrte Junge öffnete mehrmals den Mund, bis es ihm endlich gelang »Zauberin?« herauszubringen.
Sie blieb stehen. Der Gedanke, Tayschrenn noch ein wenig länger warten zu lassen, gefiel ihr. »Was gibt es, Soldat?«
Der Soldat warf rasch einen Blick über die Schulter und sagte: »Es geht um die Wachen, Zauberin. Sie haben ... ein Problem. Sie haben mich geschickt, um ...«
»Um welche Wachen? Bring mich zu ihnen.«
»Jawohl, Zauberin.«
Sie folgte dem Soldaten um die nächste Ecke, wo die Hofmauer dem Hauptgebäude so nahe kam, dass ein schmaler Durchgang entstand, der sich über die ganze Länge des Gebäudes hinzog. Am hinteren Ende dieses Durchgangs kniete eine Gestalt mit gesenktem Kopf. Neben ihr lag ein großer, ausgebeulter und von braunen Flecken übersäter Jutesack. Ganze Fliegenschwärme umschwirrten den Mann und den Sack.
Der Soldat blieb stehen und drehte sich zur Zauberin um. »Er hat sich immer noch nicht bewegt. Den Wachen wird immer furchtbar übel, wenn sie hier entlang patrouillieren.«
Flickenseel starrte den zusammengekauerten Mann an. Ihr stiegen die Tränen in die Augen. Sie beachtete den Soldaten nicht weiter und betrat den schmalen Gang. Der Gestank traf sie wie ein Schlag. Verdammt, dachte sie, er ist seit der Schlacht hier. Fünf Tage. Die Zauberin ging näher heran. Obwohl Bellurdan kniete, befand sich sein Kopf ungefähr auf gleicher Höhe mit ihrem. Der Thelomen-Hohemagier trug immer noch die Reste seiner Kampfausrüstung; die ausgefransten Fellstreifen waren versengt und zerrissen, die wenigen verbliebenen Fetzen seiner Tunika blutverkrustet. Als sie vor ihm stehen blieb, sah sie, dass sein Nacken und sein Gesicht von Brandblasen bedeckt und fast alle seine Haare abgesengt waren.
»Du siehst schrecklich aus, Bellurdan«, sagte sie.
Langsam wandte der Riese den Kopf. Blutunterlaufene Augen richteten sich auf ihr Gesicht. »Ah, Flickenseel«, grummelte er. Er lächelte erschöpft, und die verkohlte Haut der einen Wange platzte auf. Die Wunde klaffte rot und trocken.
Sein Lächeln ließ sie beinahe in Tränen ausbrechen. »Du brauchst Heilung, alter Freund.« Ihr Blick huschte zu dem Jutesack. Seine Oberfläche wimmelte von Fliegen. »Komm schon. Nachtfrost würde dir den Kopf abreißen, wenn sie dich in diesem Zustand sehen könnte.« Sie fühlte ein Zittern in sich aufsteigen, fuhr aber mit zusammengebissenen Zähnen fort. »Wir werden uns um sie kümmern, Bellurdan, wir beide - du und ich. Aber wir brauchen Kraft dafür.«
Der Thelomen schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe dies so gewollt, Flickenseel. Die Narben außen sind die Narben im Innern.« Er holte tief Luft. »Ich werde die Verletzungen überleben, und allein werde ich den Grabhügel meiner Liebsten errichten. Aber die Zeit ist noch nicht gekommen.« Er legte eine gewaltige Hand auf den Sack. »Tayschrenn hat mich freigestellt, damit ich das tun kann. Wirst du es auch tun?«
Flickenseel war entsetzt über die stürmische Woge der Wut, die sie in sich aufwallen spürte. »So, Tayschrenn hat dich also freigestellt.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme brutal, schroff und sarkastisch. Sie sah Bellurdan zusammenzucken, er schien regelrecht zurückzuweichen, und ein Teil von ihr wollte aufschreien, wollte die Arme um den Riesen legen und weinen, doch die Wut behielt die Oberhand. »Der Hundesohn hat Nachtfrost getötet, Bellurdan! Der Lord des Mondes hatte weder die nötige Zeit noch die Veranlassung, Dämonen herbeizurufen. Denk darüber nach! Aber Tayschrenn hatte Zeit genug, alles vorzubereiten ...«
»Nein!« Die Stimme des Thelomen rollte wie Donner den Gang entlang. Er kämpfte sich auf die Beine, und Flickenseel wich zurück. Ein verzweifeltes Feuer glomm in den Augen des Riesen. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und schien bereit, die Mauern niederzureißen. Dann blieb sein Blick auf ihr haften. Er schien zu erstarren. Seine Schultern sanken herab, seine Fäuste öffneten sich, und das Feuer in seinen Augen erlosch. »Nein«, sagte er noch einmal; diesmal schwang Trauer in seiner Stimme mit. »Tayschrenn ist unser Beschützer. Wie er es immer gewesen ist, Flickenseel. Erinnerst du dich noch, wie alles angefangen hat? Der Imperator war wahnsinnig, aber Tayschrenn ist nicht von seiner Seite gewichen. Er hat den Traum des Imperiums geformt, als Gegengewicht zu dem Albtraum des Imperators. Wir haben den Lord von Mondbrut
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