Die Gärten des Mondes
auf Zehenspitzen zum Schminktisch hinüber.
Das Herrenhaus der D'Arles war das dritte Gebäude, nachdem die Straße des Alten K'rul ihren höchsten Punkt - den ersten innerstädtischen Hügel - erreicht und an einem kreisrunden Hof vorbeigeführt hatte, der mit Unkraut bewachsen war und aus dem unregelmäßige, halb in der Erde vergrabene Dolmen herauswuchsen. Genau gegenüber von diesem Hof ragte der K'rul-Tempel auf, dessen uralte Steine von Sprüngen durchzogen und von Moos überwuchert waren.
Der letzte Mönch des Älteren Gottes war schon vor Generationen gestorben. Der quadratische Glockenturm, der sich im inneren Hof des Tempels erhob, war im Baustil eines Volkes erbaut, das schon lange tot war. Vier Pfosten aus rosa Marmor bildeten die Ecken der hohen Plattform, und sie trugen noch immer ein Spitzdach, das mit grünspanüberzogenen Bronzeziegeln gedeckt war.
Der Glockenturm blickte auf ein Dutzend flache Dächer hinab, die zu Häusern des Adels gehörten. Eines dieser Häuser drängte sich eng an die grob behauenen Mauern des Tempels, und sein Dach lag völlig im Schatten des Turms. Auf diesem Dach kauerte ein Assassine mit blutverschmierten Händen.
Talo Krafar aus dem Clan von Jurig Denatte holte keuchend Luft. Schweiß rann ihm von der Stirn und tröpfelte von seiner breiten, krummen Nase. Seine dunklen Augen waren weit aufgerissen, als er seine Hände anstarrte, denn das Blut, das an ihnen klebte, war sein eigenes.
Er war heute Nacht auf Streife gewesen, um über die Dächer der Stadt zu patrouillieren, die von den Assassinen als ihre ureigene Domäne betrachtet wurden - sah man einmal von den Dieben ab, die sich ebenfalls gelegentlich hier oben herumtrieben - und die ihnen die Möglichkeit gaben, sich in der Stadt zu bewegen, ohne gesehen zu werden. Über die Dächer gelangten sie immer ans Ziel, wenn sie sich auf ihren Missionen befanden, gleichgültig, ob es um nicht genehmigte politische ... Aktivitäten, die Fehde zwischen zwei Häusern oder die Bestrafung eines Verräters ging. Am Tag regierte der Rat unter den neugierigen Augen der Öffentlichkeit; bei Nacht regierte die Gilde, ungesehen und ohne Zeugen. So war es seit der Gründung von Darujhistan am Azur-See schon immer gewesen.
Talo hatte gerade ein ungefährliches Dach überquert, als ihn ein Armbrustbolzen wie ein Hammerschlag in die linke Schulter getroffen hatte. Der Treffer hatte ihn nach vorn geschleudert, und für eine unbekannte Zeitspanne hatte er verblüfft den wolkenverhangenen Himmel über sich angestarrt und sich gefragt, was da gerade passiert war. Als die Betäubung sich langsam in Schmerz verwandelte, rollte er sich auf die Seite. Das Geschoss hatte seine Schulter glatt durchschlagen und lag ein paar Fuß weiter auf den geteerten Ziegeln. Er rollte sich zu dem blutigen Bolzen hinüber.
Ein kurzer Blick reichte aus, um ihm die Bestätigung zu verschaffen, dass dies kein Geschoss eines Diebes war. Es war aus einer schweren Waffe gekommen, der Waffe eines Assassinen. Als diese Tatsache durch das wirre Durcheinander von Talos Gedanken an die Oberfläche seines Bewusstseins drang, kämpfte er sich erst auf die Knie, dann auf die Füße. Mit unsicheren Schritten trottete er zum Rand des Dachs.
Die Wunde begann heftig zu bluten, als er in das unbeleuchtete Gässchen hinunterkletterte. Als seine Mokassins schließlich fest auf den glatten, von Unrat übersäten Pflastersteinen standen, machte er eine Pause und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Heute Nacht hatte ein Krieg der Assassinen begonnen. Doch welcher Clanführer war verrückt genug zu glauben, er könnte Vorcan die Herrschaft über die Gilde entreißen? Wie auch immer, er würde zum Versteck seines Clans zurückkehren, falls das möglich war. Mit diesem Gedanken im Kopf begann er zu rennen.
Er war gerade in die Schatten des dritten Gässchens eingetaucht, als ihm plötzlich ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Talo erstarrte, versuchte zu Atem zu kommen. Das Gefühl, das ihn beschlich, war unverwechselbar und so zuverlässig wie ein Instinkt: Er wurde gejagt. Er schaute an sich hinunter, sah sein blutgetränktes Hemd und begriff, dass er keine Chance hatte, seinem Jäger davonzulaufen. Ohne Zweifel hatte sein Verfolger gesehen, wie er das Gässchen betreten hatte, und hatte schon jetzt eine Armbrust auf die Mündung am anderen Ende gerichtet. Zumindest hätte Talo das an seiner Stelle getan.
Er würde den Spieß umdrehen, seinem Verfolger eine Falle
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