Die Galerie der Lügen
neunundsiebzig Kunstwerke zu warnen. Darwin hieb mit der Faust auf den Schreibtisch.
Becky Hampton steckte ihren braunen Sch o pf durch die Tür. »Alles in Ordnung, Darwin?«
»Nichts ist in Ordnung«, knurrte er.
Sie zog die Augenbrauen hoch und verdünnisierte sich geräuschlos auf den Flur.
Mortimer Longfellows merkwürdige Warnung kam ihm wieder in den Sinn. Lassen Sie die Finger von Daniels. Der Schuss könnte nach hinten losgehen. War das eine Anspielung auf das sprunghafte und oft undurchschaubare Wesen der jungen Frau? Oder wusste er etwas über sie, das er seinem Kollegen nicht sagen wollte oder durfte? Mit Sicherheit lag die Menschenkenntnis des alten Haudegens in seinem Fall weit außerhalb jeder Realität, redete sich Darwin ein. Aber in seinem Hinterkopf saß ein kleiner Nager, der emsig an diesem Selbstbetrug knabberte.
Was unter der Decke der Ausflüchte zum Vorschein kam, war ihm nicht geheuer.
Es ließ sich nicht leugnen, er empfand gewisse Sympathien für Alex Daniels, und er glaubte in den Blicken ihrer verwirrenden violetten Augen nicht ausnahmslos Ablehnung gesehen zu haben. Zugegeben, sie wirkte ein wenig unausgeglichen, aber das war auch kein Wunder. Sie hatte in letzter Zeit viel durchmachen müssen. Und jetzt kam noch diese tragische Sache mit Terri Lovecrafts Mutter hinzu.
Eigentlich hatte sich Daniels bis vorgestern ganz tapfer gehalten. Sie war zweifellos eine bemerkenswerte Person. Weniger ihre irgendwie nordisch-spröde Schönheit machte sie für Darwin attraktiv als vielmehr ihre außerordentliche Intelligenz. Er lauschte in sich hinein. War da etwa mehr? Empfand er romantische Gefühle für diese Frau…?
Nein! Niemals.
Er griff zum Telefon und wählte Daniels’ Nummer.
Nach dreimaligem Läuten legte er auf und drückte die Wahlwiederholungstaste. Gespannt lauschte er in den Hörer.
»Hallo?«
»Ms Daniels. Ich bin’s, Darwin Shaw.«
»Sie!« Das klang nicht begeistert. Eher müde.
»Detective Superintendent Longfellow hat mir gerade von Ihrem gestrigen Horrortrip im Greenwich Park erzählt. Wie geht es Ihnen?«
»Furchtbar.«
»Tut mir aufrichtig Leid. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
»Ihnen ist doch herzlich egal, wie es mir geht. Sie wollen nur Ihren Fall lösen.«
Darwin entging nicht der aggressive Ton in Daniels’ Stimme. Ruhig erwiderte er: »Manchmal kann man Berufliches und Privates schwer trennen. Ich würde Ihnen wirklich gerne helfen.«
»Na prima! Dann lassen Sie mich in Frieden.«
»Warum sind Sie so gereizt?«
Er lauschte in die Leitung, hörte aber lange nichts. Doch dann kam es um so dicker.
»Weil ich gestern mit Fleurop eine Warnung erhalten habe. Mir wurde – durch die Blume, wenn Sie so wollen – mitgeteilt, dass irgendjemand ganz erpicht darauf ist, mich umzubringen! «
Darwin hielt den Atem an. Das letzte Wort hatte Daniels in einer Mischung aus Zorn und Verzweiflung ins Telefon geschrien. Sehr behutsam fragte er: »Wer ist der Absender?«
Wieder ließ die Antwort auf sich warten. Dann: »Er nennt sich Theo.«
»Ein Freund von Ihnen?«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Ein wildfremder Mann, der sich Theo nennt, schickt Ihnen Blumen und warnt Sie vor einem Anschlag?« Darwin verzog das Gesicht. Er hätte seine Worte weniger skeptisch klingen lassen sollen.
Auch diesmal ließ sich Daniels für ihre Erwiderung viel Zeit. »Es ist nicht die erste Nachricht, die ich von ihm erhalten habe. Er hat mir schon in Holloway einen Kassiber geschickt und mir empfohlen, meinen genetischen Fingerabdruck mit dem der Leiche aus dem Louvre abgleichen zu lassen.«
Darwin schnappte nach Luft. »Und warum sagen Sie mir das erst jetzt? Kann ich den Kassiber sehen?«
»Ich habe ihn vernichtet.«
»Weiß Superintendent Longfellow davon? «
»Nein.«
Darwin schüttelte den Kopf. »Ms Daniels. Sie haben ein seltenes Talent, sich in Schwierigkeiten zu manövrieren. Ich werde versuchen, die Sache Longfellow schonend beizubringen. Was stand in dem Kassiber drin?«
Daniels lieferte eine knappe Zusammenfassung.
»Das kann alles Mögliche bedeuten«, murmelte Darwin anschließend. »Vielleicht ist dieser Theo auch nur ein Kreationist, der Ihr Schreibtalent ausnutzen will. Möglicherweise steht er aber auch mit den Anschlägen in Verbindung.«
»Diese Warnung…«, meldete sich die Stimme der jungen Frau zögerlich aus dem Hörer. »Kann er von Neide D’Adderios Plänen gewusst haben? «
»Das wäre die bequeme Erklärung«, antwortete Darwin. Vielleicht
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