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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Authority war eine 1991 gegründete Behörde, die mit rigorosen Bestimmungen darüber wachte, dass die von ihnen lizensierten Kliniken sich nicht durch gegenseitiges Überbieten die Spenderinnen abjagten. Einer Frau, die ihre Eier für die In-vitro-Fertilisation hergab, durften lediglich die Unkosten sowie eine Anerkennung in Höhe von fünfzehn Pfund Sterling bezahlt werden. Unter dem Eindruck der jüngsten Erlebnisse fragte sich Alex jedoch, ob nicht vor zweieinhalb Jahrzehnten – zum Zeitpunkt ihrer Geburt und lange vor der Etablierung der HFEA – auf ganz andere Weise Missbrauch getrieben worden war. Immerhin kassierten die Kliniken für die Dienstleistung einer einzigen künstlichen Befruchtung oft viele tausend Pfund. War da die Versuchung nicht groß, die ethischen Normen vorübergehend außer Kraft zu setzen, wenn sich eine Keimzelle im Reagenzglas allzu spontan vermehrte? So verhielt es sich nämlich bei monozygoten, also eineiigen Mehrlingen. Sie entstehen, wenn sich die Eizelle nach der Befruchtung teilt und sich aus jedem Duplikat ein eigenes Individuum entwickelt. Solche Kinder besitzen völlig identische Erbanlagen, sind also gewissermaßen natürliche Klone. War es vertretbar, sie der Obhut verschiedener Familien anzuvertrauen? Dadurch würde man nicht nur die Geschwister trennen, sondern auch das Risiko von Erbkrankheiten unnötigerweise erhöhen, weil in der Folgegeneration womöglich ein Paar miteinander Nachwuchs bekäme, in dem sich die defekten Gene seiner Großeltern aufsummierten. Gleichwohl musste für die Kliniken die Verlockung groß sein, die Spendierfreudigkeit der Natur im Falle von Mehrlingen allen ethischen Bedenken zum Trotz profitabel auszunutzen. Anstatt die Eizellen auszusondern oder eine Frau zum Pauschalpreis mit Drillingen zu beglücken, konnten drei mit demselben Erbmaterial zum dreifachen Betrag schwanger gemacht werden, und niemand würde je davon erfahren. Es sei denn…
    »Worüber denken Sie nach?«, fragte Longfellow.
    Alex blinzelte sich in die Wirklichkeit zurück. »Äh… Schon gut. Ist nicht so leicht, das alles zu verarbeiten.«
    »Vielleicht sollten Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. So ein Erlebnis kann leicht zu traumatischen Störungen führen.«
    »Ja, vielleicht mache ich das wirklich. Zufällig kenne ich eine Therapeutin.«
    Longfellow nickte. »Das denke ich mir.«
     
     
    Erschöpft sank Alex mit dem Rücken gegen die Tür. Zum ersten Mal seit dem Umbau des Stallhauses kam ihr die Diele kalt und abweisend statt kühl und klar vor. Sie fühlte sich von den vollkommen glatten Oberflächen zurückgewiesen. Seit dem Tod ihrer Adoptiveltern hatte sie sich nicht mehr so sehr nach einer Schulter gesehnt, an die sie sich lehnen und ihren Tränen freien Lauf lassen konnte.
    Mit geschlossenen Augen wartete sie, bis das Motorengeräusch von Detective Longfellows Wagen verklungen war. Ob sie Susan um Hilfe bitten sollte? Nein. Besser nicht. Die aufgekratzte Oberflächlichkeit ihrer Freundin würde sie nur noch mehr verletzen. Sie erwog die Möglichkeit, bei Darwin Shaw anzurufen. Er schuldete ihr ohnehin noch eine Erklärung. Warum hatte er nichts von dem genetischen Fingerabdruck gesagt, den man aus Terri Lovecrafts DNA erstellen wollte?
    Während sie über diese zweite Option nachdachte, hörte sie, wie ein Fahrzeug vor dem Haus anhielt. Eine Tür öffnete sich. Der Motor lief weiter. Ihre Klingel läutete. Obwohl Alex damit gerechnet hatte, zuckte sie trotzdem zusammen. Vermutlich hatte Longfellow irgendetwas vergessen, das nicht bis morgen warten konnte. Sie drehte sich um und riss die Tür auf.
    »Was…?«
    Vor ihr stand nicht der Ehrfurcht gebietende dunkelhäutige Kommissar, sondern ein blasser pickeliger Halbstarker mit einem in Klarsichtfolie eingepackten exorbitanten Blumenstrauß in der Hand. Auf dem Kopf trug er eine grüne Baseballkappe mit dem gelben Logo von Fleurop.
    Dem Götterboten Hermes.
    Alex schreckte zurück.
    Der junge Mann reagierte verwirrt. Er blickte sich um, konnte jedoch niemanden entdecken, der furchtbar genug aussah, um eine solche Wirkung zu erzielen. Dann schien ihm zu dräuen, dass er der Anlass für das Entsetzen sein könnte. Er zerrte ein säuerliches Lächeln auf sein Gesicht und erklärte: »Überraschung! Ich habe eine Blumensendung für Sie. Ms Daniels?«
    »Ja.« Die Antwort kam kühl und knapp.
    »Nehmen Sie den Strauß an?«
    Alex fragte sich, wer ihr ein dermaßen teures Geschenk machte (große Sträuße von

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