Die Galerie der Lügen
lag es an seiner früheren Tätigkeit bei der Militärpolizei, dass er sich damit nicht zufrieden gab.
»Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und nach Gründen gesucht, warum Theos Botschaft sich verspätet haben könnte.«
»Also haben Sie die Polizei nicht verständigt.«
»Nein.«
Darwin ließ den Atem vernehmlich durch die Nase entweichen. »Wären Sie bereit, auf den Rat eines Mannes zu hören, der die menschlichen Niederungen seit Jahren durchwandert?«
Wieder kam die Antwort erst nach einer Pause. »Was empfehlen Sie mir, Mr Shaw? «
»Verlassen Sie sofort Ihr Haus!«
Die Bar Solo war eines jener unauffälligen Durchschnittsrestaurants, von denen es in Camden Town unzählige gab. Hier konnte Londons Boheme mediterranes Flair tanken, ohne sich allzu weit von den Traditionen britischer Gastronomie entfernen zu müssen. Darwin verkehrte selten in derlei Lokalitäten.
Das Restaurant lag in der Inverness Street, einer kleinen Nebenstraße der Camden Road, unweit von Alex Daniels’ Haus. Von ihr stammte auch der Vorschlag, sich hier zu treffen. Als Darwin eintrat, entdeckte er sie im hinteren Bereich des Lokals, vor sich einen Teller mit gemischten Tapas und ein Glas Cola. Er lächelte ihr zu, während er ihren Tisch ansteuerte. Sie blieb ernst.
Daniels trug einen schwarzen Wollpullover und einen grauen Rock, Strümpfe, und die Schuhe mit halbhohem Absatz waren wieder schwarz. Wenn sie will, kann sie eine sehr attraktive Frau sein, dachte er.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er. Die Anteilnahme in seiner Stimme war echt.
»Noch genauso wie vorher.« Die Kühle ihrer Erwiderung wohl ebenso.
Er setzte sich ihr gegenüber. »Ich glaube, Sie haben das Richtige getan. Solche Briefe darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Kann ich ihn mal sehen?«
Daniels hielt das gefaltete Kärtchen in der Hand. Sie schob es über den Tisch.
Darwin nahm es, klappte es auf und las die knappe Nachricht.
Dein Leben ist in Gefahr! Such dir ein sicheres Versteck.
Theo
Ohne den Blick von der kraftvollen Handschrift zu nehmen, fragte Darwin: »Irgendeine Idee, wie er von den Mordabsichten, die Mrs D’Adderio Ihnen gegenüber hegte, erfahren haben könnte?«
»Nicht die geringste«, antwortete die junge Frau wortkarg.
Ein Kellner kam an den Tisch und erkundigte sich, ob er irgendetwas bringen könne. Darwin bestellte ein Glas Concha y toro und eine weitere Portion Sardinen-Tapas. Als der Ober wieder verschwunden war, sagte er: »Wir müssen Longfellow davon erzählen.«
Sie drehte das Colaglas auf dem Tisch und nickte apathisch.
»Haben Sie jemanden, bei dem Sie für eine Weile unterschlüpfen können?«
Die junge Frau blickte von ihrem Glas auf. Sie sah erschrocken aus. Einmal mehr wurde Darwin aus ihrer Reaktion nicht schlau.
»Ist Ihnen nicht klar, dass Sie auf keinen Fall in Ihr Haus zurück können, bevor die Polizei diese Warnung überprüft hat?«
Ihre violetten Augen starrten ihn an. Gerade wollte er dem durchdringenden Blick ausweichen, als sie wieder in ihr braunes Getränk sah. »Vielleicht wollte Theo mich vor Mrs D’Adderio warnen. Vielleicht ist es auch ganz egal, was mit mir geschieht.«
Darwin sah sein Gegenüber verständnislos an. Sie hört sich an wie eine Lebensmüde! Allmählich machte er sich ernstlich Sorgen um die junge Frau. Mit fester Stimme erklärte er: »Sie kommen erst mal zu mir.«
Wieder hob sie den Blick. Er glaubte etwas Fragendes darin zu sehen. »Das werde ich nicht tun«, sagte sie auffallend deutlich.
»Und wieso nicht?«
»Meine Mama hat gesagt, ich soll nicht zu fremden Männern in die Wohnung gehen.«
»Ha!«, japste er. »Sehr witzig. Keine Angst, ich werde Sie schon nicht verführen. Lassen Sie mich eine Stunde herumtelefonieren, dann habe ich ein sicheres Quartier für Sie gefunden. Eines, bei dem Ihre Keuschheit nicht gefährdet ist.« Darwin biss sich auf die Zunge. Warum hatte er diesen Blödsinn gesagt?
Daniels trank einen Schluck Cola.
Der Kellner kreuzte wieder auf, stellte Sardinen, Brot und Wein vor Darwin hin. Das eisige Schweigen am Tisch ließ ihn schnell wieder das Weite suchen.
»Was sagen Sie?«, fragte Darwin, ehe die Blicke seines Gegenübers ihn verbrennen konnten.
»Ich muss noch ein paar Sachen aus meinem Haus holen.«
Er glaubte einen Stein von seinem Herzen fallen zu hören. »Wir können das Nötigste für Sie einkaufen.«
»Danke, ich schlafe lieber im eigenen Pyjama.«
»Nichts für ungut, Ms Daniels, aber da
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