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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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des Museums ein. Alois Zablowski, sein Vorgesetzter, begrüßte ihn mit schlechter Laune.
    »Du kommst immer erst auf dem letzten Drücker, was?«
    Hollermeier verstand die Frage nicht. »Es ist doch eine Minute vor zehn.«
    Zablowski grunzte. Er war ein reizbarer kleiner Gnom mit Bierbauch, Schnauzbart und schwarzem Toupet, unter welchem sein jüngerer Kollege eine Inventarnummer aus den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts vermutete.
    »Wo sind die anderen?«, fragte der Youngster des Wachteams. Er sah nur Hubert Dobl, einen Endfünfziger, der seinen Stammplatz hinter den Monitoren einer chronischen Arthritis verdankte. Er packte gerade seine Vesperdose zusammen, um sich in den Feierabend zu verabschieden.
    »Welche anderen?«, brummte Zablowski.
    »Ich denke, die Leitung hat uns für heute Verstärkung zugesagt. Machen die Kollegen eine außerplanmäßige Runde?«
    »Die sind schon nach Hause.«
    »Wieso denn das?«
    »Der Professor hat angerufen.« Zablowski meinte den Generaldirektor des Museums, Prof. Dr. Ignaz Magerkohl.
    »Und? Dürfen wir wieder fernsehen?«
    »Nein.«
    »Ach, deshalb…« Hollermeier verkniff sich im letzten Moment einen Hinweis auf Zablowskis Grantigkeit.
    »Deshalb, was?«
    »Die gähnende Leere. Der will wohl doch die Überstunden sparen, was?«
    »Schmarrn! Der Professor hat erzählt, sie hätten in Oslo den Dieb gefasst.«
    »Welchen Dieb?«
    »Na, das Phantom des Louvre. Den, der die letzten Wochen alle Museen der Welt in Atem gehalten hat.«
    »Nicht möglich! Den haben sie gekriegt?«
    »Ja, ist der Polizei am Abend einfach in die Arme gelaufen. Im Edvard-Munch-Museum. Haben sein Gesicht von den Interpol-Fahndungsfotos wiedererkannt und sofort zugegriffen: schnapp, weg war er.«
    »Halt mal! Dieses Museum… Wie hieß das doch gleich?«
    »Es ist nach dem norwegischen Maler Edvard Munch benannt.«
    »Jetzt! Haben sie da nicht vor kurzem erst zwei berühmte Bilder geklaut?«
    »Vor drei Jahren, wenn ich mich nicht irre.«
    »Ich dachte, es war noch nicht so lange her.«
    »Na, jedenfalls war das damals ein dreistes Husarenstück. Die Kerle sind einfach reinspaziert, haben sich zwei Munch-Gemälde ausgesucht und sich wieder aus dem Staub gemacht.«
    »Genau. Wie hieß das Bild doch gleich? Der Schrat… ?«
    Zablowski verdrehte die Augen. »Der Schrei und Madonna. War ein Jammer. Sie sollen zusammen einhundert Millionen Dollar wert gewesen sein.«
    »Wahnsinn! Davon könnt man im Simpl ‘n paar Runden Freibier schmeißen.«
    »Du denkst wohl nur ans Saufen, Timo.«
    »Fass dich an deinen eigenen Bauch, Alois.«
    Zablowski hob seinen knubbeligen Zeigefinger. »Vorsicht, Junge! Du bist noch in der Probezeit.«
    »Reg dich ab. Hast du nie davon geträumt, mal einen Batzen Geld in die Hand zu kriegen?«
    »Aber bestimmt nicht durch einen Raub wie den in Norwegen. Die beiden Munchs sind zwar unbezahlbar, aber auch unverkäuflich. Deswegen hat das Museum sie übrigens auch nie versichern lassen.«
    »Das ist echt abgefahren! Warum klaut einer ein Bild, das er nicht loswird?«
    Zablowski zuckte die Achseln. »Was weiß ich. Vielleicht gibt’s ja noch mehr Gründe als Mammon und Freibier.«
    »Kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Das sieht dir ähnlich. Jetzt setz dich ans Pult und behalte die Monitore im Auge. Hubert will nach Hause. Ich muss aufs Klo. Später löse ich dich ab.«
    »Alois?«
    »Was?«
    »Meinst du nicht, wir könnten jetzt, nachdem die Gefahr gebannt ist, doch die Glotze anschalten?«
    »Wenn ich die Schicht leite, gibt’s keinen Schmuddelkram.«
    »Irgendwo im Kabel soll ein alter Hitchcock wiederholt werden. Das Lächeln von Ibiza… Die blecherne Pizza… Verdammt, mir fällt der Name nicht ein.«
    Der Schichtleiter schüttelte fatalistisch den Kopf. »Wie wär’s mit Über den Dächern von Nizza?«
    »Genau! Könnten wir doch nebenbei laufen lassen, oder?«
    Zablowski beugte sich vor, nickte in Richtung des arthritisgeplagten Kollegen, der sich gerade ächzend erhob, und flüsterte: »Na, meinetwegen. Aber warte wenigstens, bis der Hubert fort ist.«
    Hollermeier grinste. »Klar. Danke, Alois.«
    Kurze Zeit später saßen die zwei Wachleute vor dem kleinen Fernseher, die Beine einträchtig nebeneinander auf einen Tisch gelegt, und schauten Cary Grant dabei zu, wie er sich in Grace Kelly verknallte. Obwohl letztere – im Film hieß sie Frances – eher sittsam auftrat, konnte sich der junge Museumswächter ihrer Reize nicht ganz entziehen. Ja, Hollermeier

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