Die Galerie der Lügen
verschluckt.«
»Sobal d Sie etwas von ihr erfahren…«
»Ist ja schon gut, Darwin. Ich hab’s verstanden. Bis später.«
Longfellow hatte aufgelegt.
Eine gute Stunde später verließen die zwei Mitarbeiter des Londoner Versicherungshauses die Stadt in Richtung Norden. Es war ein sonniger Herbstmorgen, ideales Ausflugswetter. Darwin saß am Steuer des gemieteten Volvo. Blackwater hatte sich geweigert, den »idiotischen Linkslenker« zu fahren. Auch die hübschen Ausblicke, die sich beiderseits der Straße boten, konnten seine mürrische Stimmung kaum heben. Mit Sicherheit hatte er einen ziemlichen Kater.
Sie fuhren bis Otterlo und von dort zum östlichen Eingang des Nationalparks De Hoge Veluwe. Am Tickethaus wurden Darwin und sein Begleiter bereits erwartet. Sie mussten nicht einmal das Auto verlassen, um in das weitläufige Gelände einfahren zu können.
Die von der deutschen Industriellentochter Helene Kröller-Müller mit Unterstützung ihres niederländischen Gatten Anton Kröller initiierte Kunstsammlung unterschied sich in manchem von jenen Galerien, die Darwin in den letzten Wochen hatte aufsuchen müssen. Sie residierte weder in einem Palast, noch lag sie im Herzen einer Weltmetropole. Aber gerade dies machte ihren besonderen Reiz aus. Das für seine umfangreiche Vincent-van-Gogh-Sammlung weltberühmte Kröller-Müller-Museum war umgeben von einer abwechslungsreichen Landschaft aus Wald, Heide, Grassteppe und Flugsandfeldern.
Über eine asphaltierte Straße rollte der Mietwagen unter goldgefärbtem Herbstlaub entlang. Die Morgensonne fand immer wieder Lücken, um den Fahrer zu blenden. Nach etwa zwei Kilometern erreichten sie das Museum. Der verschachtelte flache Bau aus Glas, Beton und braunroten Klinkersteinen duckte sich in den Wald, als wolle er nicht auffallen. Sein Architekt Henry van de Velde hatte auf klare Formen gesetzt, wohltuend in einer Zeit, da die Verpackung oft mehr versprach, als der Inhalt später halten konnte.
Auf dem Weg vom Parkplatz zum Eingang passierten die beiden Männer mehrere Skulpturen. Ein riesiges Arrangement aus drei orangeroten Stahlträgern hatte es Blackwater besonders angetan. Mit verkniffenem Gesicht lief er an der Plastik vorbei.
»Kein Freund der modernen Kunst?«, fragte Darwin.
»Das ist es nicht. Ich hab nur gerade das Gefühl, als würd das Ding da in meinem Schädel rotieren.« Er deutete auf die Installation.
Sie näherten sich dem gläsernen Eingangsbereich. Eine Spirale aus roten Leuchtröhren links neben der Drehtür verwandelte sich in Darwins Fantasie zu einer Zielscheibe. Bisher war er dem »Gehirn« immer hinterhergehechelt, jetzt konnte er ihm zum ersten Mal einen Schritt voraus sein. Und es treffen.
Noch ehe sie das Gebäude betreten hatten, sahen sie einen hemdsärmeligen Mann mittleren Alters mit wehender Krawatte auf sie zueilen. Gleich hinter dem Eingang nahm er die Besucher in Empfang. Er stellte sich vor als Dr. Maarten Boumans, stellvertretender Museumsdirektor. Sein Chef müsse leider das Bett hüten, erklärte er gestenreich: fast vierzig Grad Fieber, schlimme Infektion. Die Nachricht vom bevorstehenden Einbruch habe man Prof. Harskamp vorenthalten, damit sich sein Zustand nicht noch verschlimmere.
Boumans führte die Besucher in ein Besprechungszimmer, wo schon andere Vertreter des Museums sowie der örtlichen Polizei warteten.
Die Begrüßung war kurz und förmlich. Mit freundlichen Mienen wurde gegeizt. Darwin glaubte eine Atmosphäre der Skepsis zu spüren. Er hätte zu gerne gewusst, was die niederländischen Zeitungen über ArtCare und die »Galerie der Lügen« druckten. Solange ihm niemand ins Gesicht sagte, er könne sich mit seiner mittelalterlichen Weltfremdheit dahinscheren, wo der Pfeffer wachse, würde er seine Rolle spielen.
Nach ein paar einleitenden Worten übergab Boumans das Wort an den Chefermittler von ArtCare. Darwin lieferte den Anwesenden Details zu den bisherigen Einbrüchen, die sie nicht aus der Presse kennen konnten. Blackwater überließ er den sicherheitstechnischen Teil. Beide achteten darauf, ArtCare als helfende Hand zu präsentieren und die Einbeziehung der Versicherung nicht zum Anlass für Verunsicherung werden zu lassen.
Nach etwa einer Stunde – die Stimmung hatte sich inzwischen leidlich gebessert – dudelte plötzlich Darwins Mobiltelefon. Er habe den Anruf erwartet, entschuldigte er sich und bat darum, irgendwo ungestört telefonieren zu können. Boumans schlug eine viertelstündige
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