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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gegeben, die eher die gehobene Mittel- und die Oberschicht ansprachen, und der großen Masse von Blättern, die sich um den Rest der Leserschaft balgten. Letztere hatten in ihrem etwas stärker ausgeprägten Hang zu Sensationen Alex Daniels’ »Galerie der Lügen« dankbar aufgegriffen, um populistisch die »Arroganz der Wissenschaft« auszuschlachten. Mittlerweile schienen sich jedoch auch einige Boulevardzeitungen der »Kampagne zur Rettung der Naturwissenschaft« angeschlossen zu haben, nach dem Motto: Es ist eigentlich egal, wofür oder wogegen wir sind. Hauptsache, wir haben die Welt klar in Freund und Feind eingeteilt. Und wir sind auf der richtigen Seite.
    Jetzt, wo er selbst zu den Leidtragenden solcher Engstirnigkeit gehörte, musste Darwin daran denken, wie oft sich die europäischen Medien mit Häme über die »hinterwäldlerischen Amerikaner« geäußert hatten. Mindestens fünfzig Prozent der Bevölkerung der Vereinigten Staaten glaubten an einen intelligenten Designer des Lebens. In der öffentlichen Berichterstattung wurde indes oft der Eindruck vermittelt, die Hälfte der USA sei geistig minderbemittelt, weil sie aus religiösen Fundamentalisten bestehe. Man musste sich das einmal vorstellen: Europa hielt einhundertfünfzig Millionen Menschen in einem der höchstentwickelten Länder der Erde für verblödet!
    Die Arroganz, die sich in einer solchen Haltung widerspiegelte, war Darwin erst allmählich bewusst geworden, nachdem Alex Daniels ihm die Vielfalt der Perspektiven in den weltanschaulichen Lagern nahe gebracht hatte. Er mochte sich kaum ausmalen, wie ihn der General – der Chef von ArtCare – nach dieser multimedialen Schlammschlacht empfangen würde.
    Unbegreiflicherweise landete die Boeing 737-500 der British Airways pünktlich. Um vier Uhr nachmittags setzte die Maschine heftig, aber unbeschadet auf dem Rollfeld des Flughafens Gatwick auf. Der Applaus der Passagiere hielt sich in Grenzen.
    Gleich nach der Ankunft kaufte sich Darwin eine neue Prepaid-Karte für sein Mobiltelefon. Er überlegte, ob er Mortimer anrufen sollte, ließ es dann aber bleiben. Die Galgenfrist war abgelaufen. Damit war er raus aus dem Spiel.
    Hatte es überhaupt einen Sinn, sich im Berufsverkehr in die Londoner City zu quälen? Vermutlich lag seine Kündigung schon längst auf dem Schreibtisch. Darwin schüttelte den Kopf. Was in seinen Kräften stand, hatte er getan. Nun würde er auch den Abgesang durchstehen. Er wählte die Nummer seines Chefs. Die Sekretärin meldete sich.
    »Hi, Reena, hier ist Darwin Shaw«, sagte er. »Wie ist die Stimmung im Himmel von ArtCare?«
    »Heiter bis wolkig. Aber wie sieht es bei Ihnen aus, Darwin. Sie klingen so bedrückt.«
    »Wundert Sie das? Sie haben doch bestimmt schon die Neuigkeiten erfahren.«
    »Allerdings. Der Chef ist heute mit einem Gesicht ins Büro gekommen, das man als afrikanische Schamanenmaske verkaufen könnte.«
    Der vergnügliche Ton der Sekretärin überraschte Darwin. Derartige Äußerungen über die Vorgesetzten gehörten vermutlich in jeder Firma zur Normalität – aber nicht bei Reena Baker. »Sie klingen fast ausgelassen. Wissen Sie etwas, das an mir vorbeigegangen ist?«
    »Davon gehe ich aus, Darwin. Der Anruf von der National Crime Squad kam erst vor ein paar Minuten rein.«
    »W-was… für ein Anruf? «
    »Sie haben den Dieb gefasst.«
    »Wie bitte?«
    »Ja. Vielleicht kommen Sie noch einmal mit einem blauen Auge davon, Mr Bond. Die Laune des Chefs hat sich jedenfalls schlagartig gebessert, nachdem Sir Walter Ramleigh angerufen hatte.«
    »Der NCS-Direktor? Womit genau hat er unseren General plötzlich so gnädig gestimmt?«
    »Dr Cadwell hat nicht viel gesagt, als er aus seinem Büro gestürmt kam. Nur, dass die Polizei Alex Daniels in der Copperfield Street festgenommen hat.«
    Nach dreißigminütiger Fahrt verließ Darwin um Punkt zwanzig Minuten nach fünf den Zug auf dem Bahnhof Victoria Station. Etwa die gleiche Zeit benötigte das Taxi, um ihn durch den Berufsverkehr ins Hauptquartier der NCS zu befördern. Er kam sich vor, als trage er ein Büßerhemd, als er sich den beiden Einlasskontrolleuren näherte, aber dieser Eindruck war bloße Einbildung. Der dunkelhäutige Sicherheitsmann betrachtete den Besucher wie einen Fremden. Sein Kollege beobachtete derweil kleine Monitore.
    »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«
    »Mein Name ist Shaw. Detective Superintendent Longfellow erwartet mich.«
    Die Augenbrauen in dem runden Gesicht gingen in die Höhe.

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