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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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die Wanne, setzte sich auf den Rand und versuchte den Hahn zu drehen. Alex glaubte ihr grünlich schimmerndes, von der Anstrengung verzerrtes Gesicht in dem Chrombelag höhnisch grinsen zu sehen. Der Ausfluss saß fest.
    Sie versuchte es mit dem Kaltwasserhahn. Das Ergebnis blieb das gleiche.
    »Denk nach!«, feuerte sie sich an.
    Und sie tat es.
    Ungefähr zehn Minuten lang.
    Plötzlich hatte sie einen Geistesblitz. Leise zitierte sie Archimedes: » › Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde! ‹ «
    Die archimedischen Hebelgesetze! Der griechische Mathematiker hatte gezeigt, wie ein in einem Drehpunkt verankerter Hebel eine schwere Last mit einer verhältnismäßig geringen Kraft heben kann, wenn diese am Ende de s Hebels ansetzt. Abermals blickte sich Alex um, aber diesmal mit anderen Augen. Als Erstes bemerkte sie ein Handtuch, dann fielen ihr wieder die Tischbeine ein. Sie brach ein zweites ab und legte beide zusammen – jetzt hatte sie einen Hebel. Als Nächstes tränkte sie das Handtuch mit Wasser. Irgendwo hatte sie einmal gehört, dass nasses Gewebe hohen Belastungen besser standhielt als trockenes. Zum Schluss band sie den archimedischen Kraftarm – die Tischbeine – mithilfe des Tuches am Wasserhahn fest.
    Während sie sich mental auf die nun bevorstehende Anstrengung konzentrierte, betrachtete sie ihre Konstruktion. Sie war wackelig, aber es konnte funktionieren.
    »Soll noch einmal einer behaupten, ich sei ein Feind der Wissenschaft«, knurrte sie und übte kontrolliert Druck auf den Hebel aus. Das nasse Handtuch dehnte sich. Und der Hebel glitt heraus.
    Fast wäre Alex in der Wanne lang hingeschlagen. Sie verkniff sich einen Fluch, wohl wissend, dass sie mit ihrer Kraft haushalten musste.
    Nachdem sie die zwei Langhölzer noch fester mit dem Hahn verbunden hatte, stemmte sie sich erneut dagegen, eher gefühlvoll als mit roher Gewalt. Abermals drohte der Hebel abzurutschen. Sie presste ihn stärker gegen das Metall und drückte ihn dann ruckartig nach unten.
    Der Wasserhahn drehte sich mit.
    Alex stieß einen Jubelschrei aus, nur, um sogleich wieder zu verstummen und zu lauschen.
    Im Haus blieb alles still.
    Jetzt bereitete es ihr keine Schwierigkeit mehr, den Hahn weiter abzuschrauben. Bald brauchte sie nicht einmal die labile Hilfskonstruktion. Als ein Rinnsal an ihren Armen hinablief, wurde ihr das nächste Problem bewusst: Sobald sie den Hahn entfernte, würde das Wasser nur so aus der Wand schießen. Die Badewanne war fest mit dem Boden verankert. Die Möglichkeit, sie in eine passendere Position zu rücken, schied also aus. Einmal mehr schaute sich Alex im Badezimmer um. Dabei entdeckte sie den Absperrhahn.
    Nachdem sie noch einmal ihren Durst gelöscht und das Handwaschbecken mit Wasser gefüllt hatte, drehte sie den Haupthahn zu. Anschließend schraubte sie ihr neues Werkzeug von der Wand. Es war massiv und schwer. Wie ein Vorschlaghammer. Leider fehlte ihr der Stiel. Die leichten Tischbeine würden vermutlich nach den ersten Schlägen zerbrechen und waren zudem kaum in brauchbarer Weise an dem Wasserhahn zu befestigen.
    Wieder rettete das Handtuch den Plan. Alex band das schwere Metallstück daran fest. Im Gästezimmer wirbelte sie ihren »Schwinghammer« ein paar Mal im Kreis herum. Der Hahn saß fest. So weit so gut. Sie begab sich wieder ins Bad, schwang das Tuch ein paar Mal vor und zurück und schleuderte es dann mit aller Kraft gegen die Wand. Verchromtes Messing und Keramikfliesen krachten zusammen. Splitter flogen. Alex spürte einen Schlag am Arm. Unwillkürlich leuchtete ihre Haut heller auf.
    »So ein Mist!«
    Sie hatte sich schon beim ersten Schlag verletzt. Die Wunde war nicht tief, aber wie und wo würden sie die nächsten scharfkantigen Bruchstücke treffen?
    Alex holte sich die Bettdecke aus dem Gästezimmer und versuchte sich damit zu schützen. Das gelang ihr mehr schlecht als recht, denn schon die alten Ritter wussten: Je besser die Rüstung, desto unbeweglicher der Krieger.
    Mit der Kraft des Trotzes sprengte sie weitere Fliesen von der Wand. Und zog sich dabei weitere Schrammen und Schnitte zu. Dann aber war die Deckschicht entfernt, und es ging besser voran. Nach einer Weile riss das unter den Schlägen zermürbte Frotteegewebe, und der Wasserhahn flog wie vom Katapult geschossen durch den Raum, krachte in Alex’ Rücken gegen die Wand und schepperte zu Boden.
    Zum Glück hatte der Gastgeber für zwei Handtücher gesorgt. Wenig später

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