Die Galerie der Lügen
rechten Arm schonte. Nur kurz hatte sie einen Blick an seiner Silhouette vorbei erhascht. Sie sah eine kiesbestreute Vorfahrt, die Motorhaube des Jaguar und im Hintergrund eine niedrige Hecke, wie man sie zur Umfassung von Blumenbeeten pflanzte. Dann war Theo ins Haus getreten und hatte hinter sich die Tür ins Schloss geworfen. Sie hatte geglaubt, er würde sie umbringen, oder sie zumindest wieder einsperren, aber nichts von alledem geschah.
Er sah sie nur seltsam belustigt an. Seine Stimme klang auf eine schwer nachvollziehbare Weise gleichgültig, als er ihr eine Einkaufstüte von Marks & Spencer hinwarf und sagte: »Hier, zieh das an!«
In dem Plastikbeutel waren Darwins Sweatshirt – verschmutzt und am rechten Arm mit einem blutverfleckten Loch – sowie ihre Jeans.
Unter Theos amüsierten Blicken hatte sie sich oberflächlich reinigen dürfen und sich angekleidet.
Dann erklärte er: »Ich bringe dich wieder zurück.«
Während der Autofahrt mit verbundenen Augen und den Kopfhörern des MP3-Spielers hatte sie Todesängste ausgestanden. In Kriminalfilmen endeten solche Episoden allzu oft in irgendeinem abgelegenen Steinbruch oder an einem dunklen Gewässer mit der Ermordung des Gekidnappten. Aber plötzlich nahm Theo ihr die Kopfhörer ab und sagte, sie könne sich auch der Augenbinde entledigen.
Sie waren mitten in London gewesen.
Kurz bevor er sie in der Nähe von Lucys Haus absetzte, sagte er: »Es steht dir frei, deine › Galerie der Lügen ‹ fortzusetzen, aber kein Wort über unsere Entstehung in den Reagenzgläsern von HUGE, hörst du! Und noch etwas: Solltest du meinen siebten Museumseinbruch vereiteln, dann wird Darwin Shaw dafür mit seinem Leben bezahlen.«
Ihr Herz hatte sich plötzlich angefühlt, als werde es von einer kalten Faust zusammengedrückt. Erst durch Theos Drohung war ihr klar geworden, wie viel ihr Darwin Shaw immer noch bedeutete. Was hatte sie anderes tun können, als beim Verhör im NCS-Gebäude zu schweigen?
In diesem Moment hallte erneut die Stimme des Versicherungsdetektivs durchs Haus. Sie klang verzweifelt.
»Alex?«
Die so Gerufene kämpfte sich unter der Bettdecke hervor und rutschte aus dem Bett. Immer noch benommen von dem unsanften Abbruch ihres Erholungsschlafes taumelte sie zur Tür. Sie griff nach dem Knauf und spürte, wie er sich ohne ihr Zutun in ihrer Hand drehte. Fast wäre sie umgeworfen worden, als ihr die Tür entgegen kam. Im nächsten Moment blickte sie in Darwins besorgtes Gesicht.
»Alex!«, stieß er erleichtert hervor. »Warum hast du nicht geantwortet?«
»Ich… bin gerade erst aufgewacht. Dr. Atkey hatte mir ein Beruhigungsmittel gegeben. Muss geschlafen haben wie ein Stein.«
»Allerdings. Es ist schon nach elf. Wie geht es dir?«
Sie spürte ein Kitzeln im Nacken. Es war ihre eigene Hand, die dort an den Haaren zwirbelte. »Besser, würde ich sagen.«
»Ist das mein Schlafanzug, den du da trägst?«
Alex sah an sich herab. Das gestreifte Nachtzeug war ihr ein paar Nummern zu groß. Sie hatte die Ärmel und Beine umkrempeln müssen, um hineinzupassen. Auf einen Kleiderschrank zu ihrer Rechten deutend, antwortete sie: »Lucy hat gesagt, ich kann mir alles nehmen, was ich brauche. Sie will heute was Passendes für mich…« Aus einem Grund, den sie selbst nicht wusste, ließ sie den Satz unvollendet.
Darwin lächelte. »Ist schon in Ordnung. Das Gästezimmer war früher meine Bude. Ich bin noch nicht dazu gekommen, mein altes Zeug in die neue Wohnung rüberzuschaffen. Hast du Hunger?«
»Ich könnte einen Elefanten verspeisen.«
»Soll ich uns ein paar Eier in die Pfanne hauen?«
»Klingt himmlisch.«
»Okay. Dann zieh du dich an. Ich mache inzwischen das Frühstück.«
Ihr Körper und ihre Seele schienen alles zurückzufordern, was sie in den zurückliegenden Tagen vermisst hatten: unbeschwerte Ruhe, üppige Mahlzeiten und Geborgenheit. Dieses Bedürfnis von Nestwärme und Sicherheit stillte Darwin allein durch seine aufmerksame Gesellschaft, was zugleich angenehm, aber auch irritierend für Alex war. Als sie endlich das Badezimmer verlassen und ein zu ihren Jeans passendes khakifarbenes Hemd aus seiner Garderobe ausgewählt hatte, war in der Küche ein perfektes englisches Frühstück serviert.
Sie hatte Darwins neugierige Blicke bemerkt, aber er war taktvoll genug gewesen, sie nicht sofort mit neuen Fragen über die Entführung zu bestürmen. Stattdessen erzählte er, während seine Zuhörerin Ei, Speck, Cheddarkäse,
Weitere Kostenlose Bücher