Die Galerie der Lügen
gebackene Bohnen und noch einiges mehr vertilgte, von der Reise nach Holland, von seiner Sorge um Alex, von jener deprimierenden Nacht, in der seine Hoffnungen, das »Gehirn« endlich zu fassen, zerstoben waren.
Anschließend kam er auf die neuen Erkenntnisse zu sprechen, die Detective Superintendent Longfellow und er gewonnen hatten. Offenkundig wollte er ihr damit sein Vertrauen signalisieren. Er sprach von den identifizierten Gesichtern der Angelgesellschaft, von Martin Cadwells zweiter Karriere, und dann kam er auf die sprunghaft gestiegene Anzahl von Doppelgängern zu sprechen. Alex wäre vor Schreck fast vom Barhocker gerutscht. Sie saßen sich an einem hohen Tresen gegenüber.
Als Darwin geendet hatte, musterte er Alex mit einer Beharrlichkeit, die sie beunruhigte. Die Strapazen der letzten Tage standen ihm ins Gesicht geschrieben. Sie war es gewohnt, im Ringen der Blicke fast immer zu punkten – wenige Menschen kamen gegen ihre verstörend violetten Augen an. Aber an diesem Tag wich schließlich sie aus. Nervös pickte sie mit der Gabel nach ein paar Ei- und Speckkrümeln auf ihrem Teller.
»Hat Theo gedroht, dich zu töten?«, fragte er unvermittelt.
Alex spürte, wie sich ihre Muskeln verhärteten. Was sollte sie darauf antworten? Was konnte sie ihm sagen? Ihre Artikel über die Einbruchsserie dürfe sie fortsetzen, hatte Theo ihr zugestanden. Solltest du meinen siebten Museumseinbruch vereiteln… Bildete sie sich nur ein, seine Betonung habe besonders auf dem Wörtchen »du« gelegen? Nein, bestimmt nicht. Schon gestern hatte sie Darwin im NCS-Gebäude einen versteckten Wink gegeben, war sich aber nicht sicher gewesen, ob er ihn auch bemerkt hatte. Doch jetzt sickerte ein beklemmender Gedanke aus ihrem Unterbewusstsein, das Gefühl etwas übersehen zu haben. Vielleicht waren Theos Aktionen in weit umfassenderem Sinne eine »Galerie der Lügen«, als sie es sich bisher hatte vorstellen können…
»Ist meine Frage so schwer zu beantworten? Worüber denkst du so lange nach, Partner?«
Erschrocken blickte sie von ihrem Teller auf. Ob Theo Lucys Haus verwanzt hatte? Die technischen Fähigkeiten besaß er zweifellos. Aber wie hätte er sicher sein können, dass sie hier wohnen bleiben würde. Nein, sie durfte jetzt nicht hysterisch werden. Andererseits…
»Alex?«, bohrte Darwin nach.
Sie blinzelte. »Ich… äh… Wie bist du eigentlich darauf gekommen, dass Der Bau des Turms von Babel unter dem Bild von dem Bowler versteckt sein könnte?«
Sie konnte ihm ansehen, dass er ihr Ablenkungsmanöver durchschaut hatte. Einige quälende Herzschläge lang sah er sie mit unbewegter Miene an. Dann, als wäre unvermittelt ein dunkler Schleier von seinem Antlitz gezogen worden, lachte er. »Du wirst es nicht glauben, aber ich bin im Traum darauf gekommen.«
»Mich wundert gar nichts mehr. Was hast du gesehen?«
»Einen Hut. Die Melone eben.« Er zuckte die Achseln und schaufelte sich eine weitere Ladung Ei und Speck in den Mund.
»Ja, und?«
»Ich…« Er schlang seinen Bissen herunter und spülte mit einem Schluck Orangensaft nach. »Ich habe mich an das erinnert, was du mir über die Traumsymbole erzählt hattest. Über den Hut. In ihm drücke der Träumer das Bedürfnis aus, seine wahren Absichten, Erwartungen und Meinungen vor anderen zu verbergen, hast du gesagt. Und dann wurdest du sehr nachdenklich und fügtest hinzu, das sei ein Aspekt, der dir Unbehagen bereite. Irgendwas muss in dieser Nacht in meinem Kopf eingerastet sein. Ich habe das › Verbergen ‹ mittels des Hutes mit einem Mal wörtlich genommen.«
»Leider etwas zu spät.«
Darwin nickte mit säuerlicher Miene.
Sie überlegte, ob sie ihre Gedanken aussprechen durfte oder damit gegen die mit Theo getroffene Vereinbarung verstieß. »Ich glaube«, begann sie dann aber doch zaghaft, »das › Gehirn ‹ hat sich dieser List nicht allein aus praktischen Erwägungen bedient.«
Er runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Na, überleg doch mal. Schon wie er es eingefädelt hat. Der Coup in München war gewissermaßen schon die Vorbereitung des Kröller-Müller-Raubs.«
»Er?«
Sie blinzelte. »Wie bitte?«
»Du hast eben › er ‹ gesagt, als du vom › Gehirn ‹ sprachst. Ich mag mich irren, aber bisher hast du von ihm immer als Neutrum gesprochen.«
»Willst du jetzt jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen?«, entfuhr es Alex. Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, wusste aber nicht, ob aus Scham, weil er sie
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