Die Galerie der Lügen
seiner Tätigkeit sehr ernst. Er hielt sich für einen guten Ermittler. Gut genug jedenfalls, um das metallene »Souvenir« des Täters nicht nur als Marotte abzutun.
Natürlich konnte es Zufall sein, dass sieben Tage zuvor in London ein Gemälde gestohlen und dass auch im Tate Modern ein Gegenstand aus Magrittes Unachtsamem Schläfer gefunden worden war. Zwei Fälle anhand dieser Indizien als Serie zu bezeichnen mochte tatsächlich kühn sein. Aber wenn es drei waren? Seit Darwin mit eigenen Augen den Apfel gesehen hatte, rotierte dieser Gedanke wie ein Brummkreisel in seinem Schädel.
Alle Einbrüche der vergangenen drei Sonntage hatten nicht nur prominente Museen getroffen, sondern auch ein und denselben Versicherer: ArtCare. Auf den ersten Blick schien jedoch der Vorfall in Paris mit jenen in London und Wien wenig gemein zu haben. In der französischen Hauptstadt hatte sich Darwin vom Gerichtsmediziner die zwei im Karyatidensaal des Louvre aufgefundenen Leichen zeigen lassen. Aus seiner Zeit bei der Militärpolizei war er einiges gewohnt, aber das…!
Einer der Toten konnte zweifelsfrei als der vermisste Sicherheitsmann des Museums identifiziert werden. Die Splitter der von der Explosion zerrissenen Marmorstatue mussten wie Schrapnelle durch den Saal geschossen sein und hatten den Nachtwächter regelrecht durchsiebt.
Erheblich schlimmer stand es um die zweite Person, über deren Identität die Ermittlungsbehörden im Dunkeln tappten. Laut Laborbericht waren in ihrem Overall großflächig Taschen eingenäht gewesen, die verschiedene chemische Stoffe enthalten hatten. Dazu gehörten Roter Phosphor und Kaliumchlorat, die, wenn sie miteinander verrieben werden, eine explosive Mischung ergeben. Der während der Detonation aufgebaute enorme Druck hatte genau diese Wirkung gehabt. Andere in den Fasern der Kleidung aufgespürte Verbindungen mussten wie Brandbeschleuniger gewirkt haben. Was dieser hochbrisante Cocktail übrig gelassen hatte, war als Mensch nicht mehr zu erkennen gewesen. Die forensischen Pathologen wollten sich nicht einmal dazu äußern, welches Geschlecht der Einbrecher hatte.
Anhand einer Reihe von Spuren – darunter die Art und Weise, wie die Sicherheitstechnik im Louvre ausgehebelt worden war – ging die Pariser Kriminalpolizei von mindestens zwei Tätern aus. Auf einem funkgesteuerten elektronischen Schalter, der falsche Videosignale auf die Monitore der Überwachungszentrale geleitet hatte, waren sogar Fingerabdrücke gefunden worden. Inzwischen mussten bei Europol und Interpol die Computer heißlaufen, um dem Phantom ein Gesicht zu geben.
War es möglich, dass dieser Unbekannte auch in London und Wien zugeschlagen hatte?
Darwin wusste, auf welch wackeligen Füßen sein Verdacht stand. Der Vorfall im Louvre sah aus wie die Tat eines Geisteskranken, eines Terroristen oder einer Mischung von beidem – wie von Phosphor und Kaliumchlorat. Bis zum Morgen hatte es jedenfalls kein Bekennerschreiben gegeben, was bei politisch motivierten Taten ungewöhnlich war. Also doch nur eine verschworene Gemeinschaft von Irren?
Die Handschrift der beiden anderen Einbrüche war eindeutig anders. Sieben Tage nach dem Sprengstoffanschlag auf den Hermaphroditen hatten sich Diebe ans Werk gemacht und ebenso am vergangenen Sonntag im Kunsthistorischen Museum. Wenn es eine Beziehung zwischen dem Apfel von Wien und dem Unachtsamen Schläfer in London gab, warum hatten die Einbrecher dann nicht auch in Paris Hut, Spiegel, Kerze oder sonst ein Symbol des Magritte zurückgelassen?
Vielleicht war es nur ein Zufall, dass die drei Einbrüche fast auf die Stunde genau im Sieben-Tage-Takt verübt wurden…
Darwin hörte ein zaghaftes Klopfen. Das musste der Zimmerservice sein.
Er sprang vom Bett hoch, eilte zur Tür und öffnete sie. Vor ihm stand eine junge Hotelangestellte, die auf ihrer Rechten ein Tablett mit dem bestellten Imbiss balancierte und in erstaunlich kurzer Zeit knallrot anlief. Weil sie nichts sagte, nahm ihr Darwin einfach das Servierbrett ab.
»Danke. Muss ich irgendetwas unterschreiben?«
Sie kicherte. »Ist vielleicht besser, wenn Sie das später erledigen, Sir.«
»Ich habe leider gerade kein Kleingeld zur Hand…«
»Das sehe ich, Sir. Ist schon in Ordnung. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete den Gang hinab.
»Soll noch einer sagen, die Wiener seien hochnäsig«, murmelte Darwin und stemmte sich gegen die Zimmertür. Dabei bemerkte er eine
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