Die Galerie der Lügen
»therapeutische Klonen«. »Darunter versteht man ein Verfahren, bei dem im Reagenzglas (in vitro) der Zellkern einer menschlichen Eizelle durch den einer anderen Person ersetzt wird«, erklärte uns Prof. Charles Tyrrell, Leiter des in Cambridge ansässigen Humangenetischen Instituts HUGE. Anschließend werde die Eizelle elektrisch stimuliert und beginne sich zu teilen. Es entsteht ein Zellhaufen, aus dem sich embryonale Stammzellen gewinnen lassen. Diese können dem Spender des Zellkerns zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden, um sich in dessen Körper zu gesunden spezialisierten Zellen zu entwickeln.
Von der Öffentlichkeit fas t unbemerkt erteilte die Human F ertilisation and Embryology Authority (HFEA) im August einer Gruppe von Forschern des »Centre for Life« der Newcastle Universität die Genehmigung zum Klonen menschlicher Embryonen. Die zweite von der Behörde vergebene Lizenz erweckte weit mehr Aufmerksamkeit. Sie ging am 8. Februar an keinen Geringeren als Professor Ian Wilmut, den Schöpfer des Klonschafes Dolly. Seitdem wurden viele weitere Zulassungen erteilt. Das therapeutische Klonen ist heute t ägli che Praxis, der Wettlauf um Genpatente längst in Gang. In vier Wochen will das Unterhaus nun die nächste Runde einläuten und damit die Spitzenposition Großbritanniens in der Human genetik sichern. Was die Behandlung von »Altlasten«, betrifft, wurde zwischen Kritikern un d Befürwortern zäh um einen Kom promiss gerungen. Es soll keine nachträgliche Legitimierung von Gesetzesverstößen übereifriger Forscher geben. Sir Thomas H. Larkin vom House of Lords, d as dem Entwurf ebenfalls zustim men muss, sprach vom englischen Fair Play: »In Wirtschaft und akademischer Forschung soll j eder die gleichen Chancen bekom men. Fehlstarts sind nicht erl aubt. Wer sich rechtswidrig Vor teile verschafft hat, wird disqualifiziert.« Die strengen Regeln sind wohl angebracht, denn es geht um die Vorherrschaft in der Königsdisziplin der Biotechnologie. In einem Monat soll darüber abgestimmt werden, ob geklonte Menschen sich über das Stadium des Zellhaufens weiterentwickeln dürfen – bis zu einem voll entwickelten J ungen oder Mädchen oder was immer sich die Wissenschaftler als den perfekten Menschen von morgen vorstellen.
Erst als der Airbus in den Landanflug überging, wagte Darwin von seiner Zeitung aufzublicken. Die hübsche Brünette bezirzte inzwischen den Mann am Mittelgang. Nachdem die Maschine gelandet war, stürmten alle Passagiere hinaus, als handele es sich um eine Brandschutzübung. Zeit ist Geld. Die meisten Fluggäste waren geschäftlich unterwegs.
Weil sein Gepäck nur aus einem Pilotenkoffer bestand, in dessen Kleiderfach sich ein frisches Hemd und ein paar andere notwendige Reiseutensilien befanden, konnte Darwin das Ankunftsgebäude auf schnellstem Weg verlassen. Mit dem Taxi fuhr er direkt zum Maria-Theresien-Platz. Der Hauptsitz des auf mehrere Standorte verteilten Kunsthistorischen Museums lag direkt in Wiens Zentrum.
Für Besucher aus dem Vereinigten Königreich ist es bisweilen ein Schock, wenn sie in ein scheinbar unbedeutendes Land kommen und dort auf ein kulturelles Erbe stoßen, das dem des britischen Empire durchaus ebenbürtig ist. Darwin besuchte die österreichische Hauptstadt zum ersten Mal. Als er vor dem so genannten Kaiserforum aus der Droschke stieg, war sein Erstaunen dementsprechend groß. Kein Geringerer als der berühmte Architekt Gottfried Semper, bekannt als Schöpfer der Dresdner Oper, hatte die von Kaiser Franz Joseph in Auftrag gegebene Museumsanlage entworfen. Mitten über der breiten Fassade mit ihren langen Reihen von Rundbogenfenstern erhob sich eine mächtige Kuppel. Dort betrat Darwin das Gebäude.
Vom Haupteingang gelangte er in das klassisch kühle, von weiß-grau-schwarzer Eleganz geprägte Vestibül. Er durchquerte die Eingangshalle und meldete sich an der Information. Nach einem kurzen Telefonat bat ihn die freundliche Dame in der Museumsuniform um einen Moment Geduld.
Ungefähr zehn Minuten später traf eine Frau in grauem Kostüm ein, die sich ihm als Professor Stangerls Sekretärin vorstellte. Sie war Ende dreißig, ein wenig pummelig und der englischen Sprache nur bedingt mächtig. Daraus resultierte eine gewisse Einsilbigkeit.
»Haben Sie auch einen Namen?«, fragte Darwin freundlich.
Sie lächelte verlegen. »Maria Dobler.«
Er gab sich Mühe, ihr die Befangenheit zu nehmen. »Sehr schön, Frau Dobler. Was fangen wir jetzt
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