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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wissenschaftlich Ungebildeten, wenn sie die Spektakel bestaunen, die ihnen von gelehrten Männern geboten werden, wie… sagen wir, die Errungenschaften der Biotechnologie. Wagen wir es jedoch, uns auf gleiche Augenhöhe mit den Wunderwerken zu begeben, dann erkennen wir plötzlich die Makel im Mirakel. Deshalb, Dr. Cadwell, ist Michelangelos Gigant in einem solchen Maße mit Symbolkraft aufgeladen, dass der Initiator der › Galerie der Lügen ‹ ihm nicht widerstehen kann.«
    Einmal mehr verharrte Cadwell in tiefer Nachdenklichkeit, ehe er entgegnete: »Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen, Ms Daniels, wenngleich ich anderer Meinung bin. Für mich steht außer Frage, dass die Wissenschaft uns von den Makeln der Evolution befreien muss. Aber das ist nicht der passende Augenblick, um darüber zu debattieren. Wenn wir uns auf diese Weise tatsächlich in die krankhafte Gedankenwelt des › Gehirns ‹ , wie Sie den Kriminellen so idealisierend nennen, hineinfinden und ihn endlich dingfest machen können, dann sollen mir Ihre › Einsichten ‹ genehm sein. Dennoch schmeckt mir dieses kreationistische… Oh, Verzeihung, Sie mögen ja dieses Wort nicht. Lassen Sie es mich anders ausdrücken: Sie verlangen von mir, das Sein und Werden von ArtCare auf eine Tarotkarte zu setzen.«
    »Warum sagen Sie nicht offen, dass Sie meine Interpretationen für spekulativ halten.«
    Cadwell teilte über dem Tisch die Luft mit den Händen. »Bei aller Liebe, Kind, aber sind Sie das etwa nicht?«
    Alex starrte ihn verwirrt an. Darwin hatte sie ja vorgewarnt, sie solle sich nicht von der väterlichen Maske seines Chefs täuschen lassen. Trotzdem waren die Worte dieses selbstgefälligen alten Mannes wie Nadeln, die in ihr von trotziger Selbstbehauptung aufgeblasenes Ego sch o ssen und die heiße Luft schlagartig entweichen ließen. Ein Gefühl der Resignation überkam sie. Aber dann fing sie Darwins Blick auf. Er war ein stummes Flehen, emporwachsend aus einer Miene der Verunsicherung. Ach, was sollte es! Sie hatte ohnehin schon zu viel gesagt.
    »Das hat nur den Anschein«, erwiderte sie aufgeräumt. »Weil Sie nicht den Inhalt des Kassibers kennen, den mir ein Unbekannter ins Gefängnis von Holloway geschickt hat. In Bezug auf die Museumseinbrüche schrieb er sinngemäß, ihm sei bewusst, dieser Kampf gleiche dem von David gegen Goliath.« Aber wir alle wissen, dass der vermeintlich Schwächere am Schluss den Sieg davongetragen hat, setzten ihre Gedanken die orakelhaften Worte fort.
    »Er hat schon vor…? Wann war das?«
    »Am Freitag, dem 28. September.«
    »Fast drei Wochen! Damals hat er schon vom David gesprochen?«
    »Ich habe es für eine Metapher gehalten, Dr. Cadwell. Aber jetzt bin ich überzeugt, es war ein Hinweis. Es soll ja häufiger vorkommen, dass kriminelle Hirne ein übersteigertes Mitteilungsbedürfnis haben. Oder es war eine Freud’sche Fehlleistung: Das Phantom hat ausgesprochen, was sein Denken beherrscht.«
    »Kein anderes Kunstwerk ist bei ArtCare so hoch versichert wie der David«, warf Darwin ein.
    Cadwell bedachte Alex mit einem Blick, der alles andere als freundlich war. »Ihrem Fanatismus hat unser Haus die größte Krise seiner Geschichte zu verdanken. Wir müssen den Anschlag vereiteln, koste es, was es wolle, denn ich fürchte, am David entscheidet sich unser Schicksal.«
    Alex hielt der aus seinen Augen sprühenden Ablehnung stand. Kühl erwiderte sie: »Es wäre nicht das erste Mal, dass ein David einen Goliath zu Fall gebracht hat.«
     
     
    »Was sollte das eben da drinnen?«, fragte Darwin aufgebracht, sobald die Fahrstuhltüren der Vorstandsetage sich vor ihnen schlossen. Cadwell hatte ihn mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet und ihm praktisch unbegrenzte Mittel zugesagt, damit er den David rette, das »Gehirn« fange und die gestohlenen Kunstwerke wiederbeschaffe.
    »Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte Alex wie ein trotziges Kind und verschränkte die Arme über der Brust.
    »War der philosophisch-wissenschaftliche Diskurs wirklich nötig?«
    »Er hat mich herausgefordert.«
    »Das tut er ständig. Er will wissen, woran er bei seinem Gesprächspartner ist.«
    »Jetzt weiß e r’ s.«
    »Allerdings. Du hast ihn provoziert.« Darwin warf die Arme in die Höhe. »Er ist immerhin mein Boss, Alex. Was hast du dir dabei gedacht, als du ihn fragtest, ob er nie das Bedürfnis hatte, das Gute besser zu machen, indem er es von seinen Makeln befreie? Es hörte sich an, als wolltest du

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