Die Galerie der Lügen
höchst bedenklich hielt, musste ich mich dem Druck der Premierministerin beugen.« Als gelernte Chemikerin, die selbst einmal in der Forschung gearbeitet hatte, war sie ganz in den Gedanken vernarrt gewesen, der Evolution des Menschen beim Sprung auf die nächste Stufe unter die Arme zu greifen. So wurde er, der Forschungsminister, zum Schweigen verdonnert.
Bald fühlte er sich ausgebootet. Jedes Mal, wenn ihm James Jordan, der von den Militärs eingesetzte Verbindungsoffizier des Projekts, Bericht erstattete, fielen die Informationen aus Schottland spärlicher aus. Nun sei er, Malcolm Witcombe, Realist genug gewesen, um die Antipathie der Generäle gegen »Schnüffler« zu kennen. Bei Forschung und Entwicklung an neuen Waffensystemen ließen sie sich nicht gerne in die Karten schauen. Trotzdem war es ihm gelungen, zwei I nformanten im Team von Dr. Thor grim Gunnarsson, dem Projektleiter, zu gewinnen. Sie hießen Cynthia und Sean O’Connor.
Darwin sah aus den Augenwinkeln, wie sich Alex’ Hände um die Armlehnen ihres Stuhl klammerten. Im Hintergrund klapperte leise die Stenotypistin.
»Die O’Connors berichteten in ihren heimlichen Dossiers von unfassbaren Vorgängen. Anfang der 1980er begann man damit, menschliche Klone herzustellen.«
Plötzlich verkrampfte sich auch Darwins Magen. Er verspürte den Drang, Alex’ Hand zu nehmen, konnte sich aber nicht rühren.
Die Anfänge seien Fehlschläge der grauenvollsten Art gewesen, fuhr Lord Witcombe mit finsterer Miene fort. Die Embryos wurden Leihmüttern eingepflanzt, gingen aber schon nach kurzer Zeit wieder ab. Doch Gunnarsson war besessen von dem Gedanken, einen besseren, den vollkommenen Menschen zu erschaffen – und der Mann war genial. Auch, was die Auswahl seiner Mitarbeiter anbelangte. Er hatte mit den fast unbegrenzten Mitteln von MacKane und des Militärs einige der fähigsten Wissenschaftler um sich geschart. Doch all dieser Aufwand wäre vermutlich dennoch fruchtlos geblieben, wenn er sich bei seinen Menschenexperimenten nicht auf eine so immens große Zahl von Probanden hätte stützen können.
In den Slums des indischen Subkontinents, in Afrika und in Südamerika fand Gunnarsson die Versuchspersonen, die er brauchte: Frauen, die für ein Spottgeld ihren Körper zur Verfügung stellten, um darin etwas wachsen zu lassen, was allzu oft mehr an Außerirdische erinnerte als an menschliche Wesen.
Lord Witcombe stellte sich mit einem Ausdruck aus Scham und Bedauern Alex’ violett funkelndem Blick. »Ihre Adoptiveltern«, sagte er, als müsse er sich für seine Spione entschuldigen, »waren in der Grundlagenforschung. Cynthia und Sean O’Connor, wie sie damals noch hießen, entwickelten technische Verfahren, um einzelne Zellen zu manipulieren. Deshalb erlangten sie vergleichsweise spät Kenntnis von dem ganzen Ausmaß des Verbrechens.«
Der Lordkanzler blickte verdrossen in die erloschene Asche seiner Pfeife. Er habe dem Treiben ein Ende machen wollen, beteuerte er, aber längst hätte das Militär die Arbeit von HUGE kontrolliert. Doch unerwartet stellte sich ein Klimawechsel ein. Die Humangenetik wurde in den Nachrichten zu einem täglichen Thema, und alle möglichen Regierungen riefen Ethikkommissionen ins Leben. Plötzlich ruderte die eiserne Lady zurück. Der Wildwestzustand in der humangenetischen Forschung wurde beendet. Neue Gesetze setzten der Wissenschaft klare Grenzen. Irgendjemand unter den Ratgebern der Regierungschefin, der wohl mehr Einfluss auf sie hatte als er, Malcolm Witcombe, machte ihr klar, dass die zweifelhaften Experimente ihrem Ruf mehr schaden als nützen konnten.
Und so wurde das Projekt eingestellt.
Unglücklicherweise hatte es HUGE ausgerechnet in den vorangegangenen Monaten geschafft, einige geklonte Eizellen von Leihmüttern austragen zu lassen, die gesunde Babys zur Welt brachten. Es waren ausnahmsl os echte Hermaphroditen. Thor grim Gunnarsson feierte die Neugeborenen als Erfolg – er führte sich schlimmer auf als ein frisch gebackener Vater.
Sein zweifelhafter Triumph fand hingegen wenig Anerkennung. Fortpflanzungsfähige Hermaphroditen seien die Lösung vieler Probleme in unserer durch den Geschlechtergraben gespaltenen Welt, behauptete er. Alle, die ihm vorher zugestimmt hatten, wandten sich flugs von ihm ab.
Nun konnte man die Neugeborenen schlecht töten. Was also tun? Wohin mit ihnen? Kurzerhand wurde beschlossen, sie in die Obhut von Adoptiveltern zu geben. In zwei oder drei Fällen, wo die Geburt kurz
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