Die Galerie der Lügen
während sie sich an die Impulsfolge zu erinnern versuchte. Schon einmal hatte sie diese Tür öffnen wollen, war aber von Theo unterbrochen worden. Warum hatte sie es damals nicht geschafft…?
»Le dormeur téméraire ! «, flüsterte sie unvermittelt.
McCauley kratzte sich abermals am Hals. »Äh… mein Französisch ist leider recht bescheiden…«
»Das ist der Name eines der gestohlenen Gemälde. Er bedeutet › Der unachtsame Schläfer‹ . Das Bild ist so eine Art Codebuch bei der Entschlüsselung der Einbrüche gewesen. Vielleicht geht diese Funktion noch weiter.«
»Wie meinen Sie das?«
»Auf der Steintafel, die Magritte gemalt hat, sind sechs Symbole zu sehen. Zählt man sie von oben nach unten zeilenweise von links nach rechts durch…« Alex drückte die erste Zifferntaste.
»Warum ausgerechnet die Eins?«, wollte McCauley wissen.
»Weil der Spiegel für den ersten Einbruch steht, den Schlafenden Hermaphroditen in Paris. Danach kam der Einbruch im Tate Modern, da lag die Decke… Mist!«
»Was ist?«
»Die rote Decke ist nicht auf der Steinplatte abgebildet.« Noch einmal rief sie sich die Impulsfolge in den Sinn. Es begann mit einem großen Sprung…
Sie drückte die Ziffer sieben.
Danach folgte sie der Reihenfolge der Einbrüche. Sie wählte einfach die Traumsymbole, die jedes einzelne Kunstwerk repräsentierten: sechs, zwei, fünf, drei…
Klick!
Beim Drücken der siebten Taste hatte das Schloss hörbar reagiert.
»Treten Sie zurück«, befahl McCauley flüsternd. Er gab Second Lieutenant Aitken einen entsprechenden Wink.
Alex wurde in Richtung Diele gezogen. Als sie auf Höhe der Bildhauerwerkstatt war, stürmten die Elitekämpfer durch die Tür.
Gespannt lauschte sie. Kein einziger Schuss wurde abgegeben. Ja, sekundenlang herrschte geradezu gespenstische Stille. War der Raum leer? Oder nur ein weiterer Kerker?
Erneut wurde Alex’ Blick von dem Spalt der nur angelehnten Werkstatttür angezogen. Wieder streckte sie die Hand aus, um ihre Neugier zu stillen…
Plötzlich stolperte ein Mann aus dem erstürmten Raum und übergab sich auf dem Flur.
Alex’ Arm zuckte zurück. Was hatte das nun wieder zu bedeuten ? Lag Theos Leiche etwa in dem Zimmer, womöglich zerrissen von einer Bombe?
Colonel McCauley kam aus dem Raum. Er schüttelte den Kopf, wirkte irgendwie verstört.
»Jetzt reden Sie endlich!«, rief Alex, während sie rasch den Flur hinablief. »Sind die Gemälde da drin?«
McCauley verstellte ihr mit ausgestreckten Händen den Weg. »Vielleicht ersparen Sie sich besser den Anblick, Ms Daniels.«
»Wieso? Was ist darin?«, verlangte sie zu wissen.
»Zum einen die Gemälde. Alle fünf.«
»Und zum anderen?«
Ein weiterer Kämpfer kam aus dem Raum, ebenso kopfschüttelnd wie zuvor sein Kommandant. »Mein Gott, was für eine Freakshow«, murmelte er.
Alex sah den Mann verständnislos an.
Anstatt ihr endlich eine Antwort zu geben, setzte sich McCauley per Funk mit dem Justizminister in Verbindung.
»Das Gebäude ist gesichert, Mylord«, meldete er und nach kurzem Lauschen: »Ja, die Gemälde sind alle da. Allerdings befindet sich in dem Raum noch etwas, mit dem… wir nicht gerechnet haben…« Er wurde offenbar vom Lordkanzler unterbrochen, hörte abermals in sein Headset hinein und antwortete dann gequält. »Nein, eine Gefahr für Sie und Ihre Begleiter besteht nicht. Wenn Sie sich das wirklich antun wollen. Da drinnen sind lauter… Was? – Habe verstanden, Sir. – Ja. Wir warten, bis Sie und die Medienmeute eingetroffen sind.«
»Was hat Lord Witcombe gesagt?«, fragte Alex, nachdem das Gespräch beendet war.
»Hauptsache die Gemälde sind gerettet. Alles andere sei nebensächlich.« Der Colonel schnaubte verächtlich. »Die Sesselfurzer haben ja keine Ahnung!«
Martin Cadwell strahlte, als er im Licht einer CNN-Kamera in die Diele des Landhauses trat. Dicht hinter ihm befand sich sein Schatten, Jack Jordan. Wenn ein Reporter dem ArtCare-Chef zu nahe kam, wurde er von dem Hünen sofort wieder auf Abstand gebracht. Das Konzept zum Schutz des Lord Chancellors sah ziemlich ähnlich aus.
»Ich möchte, dass die Fernsehkameras den großen Augenblick live übertragen«, erklärte Lord Witcombe dem Einsatzleiter.
»Aber…«, hob McCauley zum Widerspruch an. Offenbar war ihm die eherne Regel nicht bekannt: Den Lordkanzler unterbrach man nicht.
Sofort legte sich die Pranke des alten Haudegens auf seine Schulter. Leise, aber sehr bestimmt, erklärte Lord Witcombe:
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