Die Galerie der Lügen
Rande des Wahnsinns gewesen…
»Ja, Sir. Ich höre«, sagte unvermittelt Aitken neben ihr. Nach kurzem Lauschen nickte er und bestätigte: »Habe verstanden, Sir. Ich spreche mit ihr. Warten Sie einen Moment.«
»Sie stehen vor der Tür, stimmt’s?«, fragte Alex, ohne den Blick von dem Haus zu nehmen.
»Ja. Sie haben vorhin beim Briefing gesagt, sie sei genauso gesichert wie die Ihrer Zelle.«
Sie nickte. »Mit Panzerung und Zahlenschloss.«
»Das ist das Problem«, erklärte Aitken. »Die Tür lässt sich nicht öffnen. Wir müssten Sprengstoff einsetzen, um da hindurchzukommen. McCauley ist nicht wohl bei dem Gedanken. Sie können sich vorstellen, was die Presse daraus machen würde, wenn sich hinter der Tür die Gemälde befinden und wir uns den Weg freibomben. Könnten Sie Ihr Glück versuchen?«
Alex zögerte nicht lange und erklärte sich einverstanden.
Aitken und zwei weitere Elitekämpfer begleiteten sie. Unbehaglich blickte sie zu den Fenstern im ersten Stock. Wo war ihr Gefängnis gewesen? Mit jedem Schritt, den sie sich dem Haus näherte, schlug ihr Herz schneller. All die mit diesem Ort verbundenen dunklen Erinnerungen stiegen jäh in ihr hoch. In der Diele wurde sie von McCauley empfangen.
»Geht’s noch?«, fragte er überraschend sanft. Vermutlich war sie – die einzige Person ohne Tarnfarbe im Gesicht – leichenblass.
Sie quälte sich ein Lächeln ab. »Unterschätzen Sie mich nicht, Colonel. In mir steckt ein zu allem entschlossener Kerl.«
Seine Lippen kräuselten sich. »Ja, ja. Schon okay. Dann kommen Sie mal…«
»Warten Sie«, unterbrach Alex ihn, von einer plötzlichen Eingebung getrieben. »Dürfte ich kurz einen Blick in den Speisesalon im Obergeschoss werfen?«
Die Brauen des Einsatzleiters rückten zusammen. »Kann das nicht bis später warten?«
»Nein.«
»Na schön.« Er gab Aitken einen Wink. »Sie und Ihre Männer gehen mit, Peter. Wir warten so lange hier unten.«
Der Second Lieutenant bestätigte den Befehl und eilte schnell seiner Schutzbefohlenen hinterher, die schon auf dem Weg zur Treppe war.
Als Alex das große Esszimmer betrat, überkam sie ein Gefühl der Beklemmung. Alles sah so aus wie in der Nacht, als sie mit Theo in diesem Raum gesessen hatte. Alles?
Sie wandte sich der »Familiengalerie« zu. Auch Aitken musterte die in den Nischen aufgereihten Akte. Vor allem die Hermaphroditen schienen ihn zu verwirren. Schnell hatte Alex gefunden, wonach sie suchte: Die kleine Aphrodite, die so lasziv ihre Arme hinter dem Kopf verschränkte, als wolle sie dadurch ihre wohl geformten Brüste zur Geltung bringen. Alex nickte. Es war die Figurette von Bo Johansen.
Mit verbundenen Augen.
Auch McCauley war dieses Detail aufgefallen, das einige der kleinen Statuen gemein hatten, andere dagegen nicht. »Gibt’s einen Grund für die Binde?«, fragte er.
»Ja«, antwortete sie leise. »Sie bedeutet, dass Bo Johansen – meine Schwester – in Florenz gestorben ist.«
»Das tut mir Leid. Könnten wir dann erst mal…?«
»Einen Moment noch«, unterbrach Alex den Lieutenant und lief zur nächsten Nische.
Der kleine Herkules war unverändert. Immer noch trug er den Globus auf den Schultern, seine Augen blickten grimmig.
»Theo lebt noch«, murmelte Alex.
»Sie meinen Mr Kendish? Sind Sie sicher?«, fragte Aitken.
»Ja. Ziemlich jedenfalls.«
Sie machte zwei weitere Schritte nach rechts, und ein Schauer lief ihren Rücken hinab.
Auch die Augen der Figurette mit dem Namenszug »Alex« auf dem Sockel waren unverhüllt.
»Jetzt können wir«, sagte sie.
Kurz darauf standen Alex, der Second Lieutenant, Colonel McCauley und einige andere Elitekämpfer wieder in der Diele. Aitken erstattete Bericht.
Der Einsatzleiter kratzte sich am Hals. »Wenn Sie Recht haben, Ms Daniels, und dieser Theo Kendish noch lebt, dann hat er sich vermutlich längst aus dem Staub gemacht. Lassen Sie uns bitte nachsehen, ob die Bilder noch da sind.«
Sanft, aber bestimmt schob er Alex am Arm in den Gang, an dessen Ende sie ein Zahlenschloss erwartete. Als sie an Theos Bildhauerwerkstatt vorbeikamen, wurden Alex’ Schritte langsamer. Sie streckte den Arm nach der Tür aus, die nur angelehnt war.
»Dahinter ist nichts außer ein paar Figuren«, sagte McCauley ungeduldig und schob sie weiter den Flur hinab. Vor der letzten Tür auf der rechten Seite blieben sie stehen.
»Jetzt sind Sie an der Reihe«, sagte der Colonel und deutete aufs Zahlenschloss.
Alex knabberte auf ihrer Unterlippe,
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