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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Tür.
    Maggy blickte demonstrativ zum Kameraauge, das unter der Decke hing, dann wieder in Alex’ Gesicht. Leise, aber in fast beschwörendem Ton, sagte sie: »Das Essen ist gehaltvoll. Lass dir Zeit damit.«
    Ehe die Wärterin eine zweite Ermahnung aussprechen konnte, drehte sie sich um und verließ die Zelle. Die Tür krachte ins Schloss. Der Schlüssel klapperte erneut. Dann war es wieder still.
    Eine ganze Weile saß Alex einfach nur bewegungslos auf dem Bett und versuchte die Informationen zu verarbeiten, die sie gerade erhalten hatte. Auf ihrem Schoß lag das Tablett mit dem Mittagessen.
    Sie sah zur Kamera hoch. Kalt und gefühllos erwiderte Big Brothers gläsernes Auge den Blick. Was hatte Maggy mit ihrem letzten Hinweis gemeint? Das Essen ist gehaltvoll. Lass dir Zeit. Vorsichtig lüpfte sie den Deckel, der die Speisen auf dem Teller warm halten sollte. Kartoffelbrei mit Hackfleischragout. Von Letzterem probierte sie eine Löffelspitze. In der Soße war Meerrettich. Sie schmeckte besser, als Alex es von dem sprichwörtlichen »Gefängnisfraß« erwartet hätte.
    Als sie sich mit dem Tablett erhob, um dieses zu dem kleinen Tisch zu tragen, rutschte der Teller bis zum hochgewölbten Rand des Brettes. Alex durchfuhr ein Kribbeln wie ein elektrischer Schlag.
    Unter dem Teller klemmte ein Zettel.
    Etwa eine Botschaft von Susan? Warum sollte sie diesen riskanten Kommunikationsweg wählen, wenn sie mit ihrem Presseausweis vergleichsweise leicht eine Besuchserlaubnis erhalten konnte?
    Alex setzte sich an den Tisch und verspeiste bedächtig ihr Mahl. Das Essen ist gehaltvoll. Lass dir Zeit. Wie konnte sie die Nachricht unauffällig lesen? Als sie das Dessert löffelte – ein undefinierbarer, künstlich schmeckender, neongelber Pudding mit der Konsistenz roher Austern –, stützte sie den Ellbogen auf den Tisch und legte ihren Kopf in die Hand. Dadurch verdeckte ihr Rücken für die Kamera das Tablett. Rasch ließ sie den Zettel im Ausschnitt ihrer Bluse verschwinden.
    Nachdem sie fertig war, reckte sie sich, gähnte ausgiebig und legte sich wieder auf die Pritsche, wie jemand der ein Mittagsschläfchen halten will. Einige Minuten später markierte sie ein Zittern und schlüpfte unter ihre Decke. Wieder ließ sie ausreichend Zeit verstreichen, warf sich mal nach links, dann wieder nach rechts, legte den Unterarm über die Augen, als störe sie die Helligkeit, und zog sich schließlich die Decke übers Gesicht. Sie drehte sich auf die Seite, holte den Zettel wieder hervor und ließ ihre Haut aufleuchten. In Momenten wie diesem schätzte sie ihre ungewöhnliche Fähigkeit, die sie mit Glühwürmchen, Bakterien und einigen Tiefseefischen teilte. Im grünlichen Schimmer ihres Gesichts und der Hände konnte sie den Kassiber problemlos lesen. Die schwungvolle Handschrift wirkte irgendwie unausgewogen, beinahe trotzig. Schon nach den ersten Worten lief es Alex eiskalt den Rücken herab.
     
     
    Alex,
    du magst dich wundern, was mit dir geschieht, vermutlich schon viele Jahre lang. Wie oft hast du dich schon gefragt, ob du eine neue Schöpfung bist oder eine Folge ihres Missbrauchs? Und jetzt deine Verhaftung. Niemand will dir glauben, dass du den Wachmann im Louvre nicht ermordet hast, nicht wahr? Alles spricht gegen dich. Lügen können sehr überzeugend sein.
    Ich kenne einen Weg, wie du deine Unschuld glaubhaft machen kannst. Vertrau mir. Niemand steht dir näher als ich. Lass uns einen Pakt schließen: Ich helfe dir, deine Freiheit zurückzuerlangen, und du revanchierst dich dafür bei mir. Abgemacht? Übergib der Botin eine Nachricht, wenn du auf unseren Handel eingehen willst.
    Theo
     
     
    Sie kannte niemanden mit diesem Namen. Möglicherweise war der Brief ein makabrer Trick der Polizeipsychologen, um sie gefügig zu machen…
    Irgendwie stellte diese Erklärung Alex nicht zufrieden.
    Natürlich wollte sie so schnell wie möglich wieder auf freien Fuß kommen. Aber der Kassiber kam ihr mehr als dubios vor. In ihr sträubte sich alles gegen das Angebot. Dieser Theo erwartete eine Gegenleistung, sagte aber nicht, wie die aussehen sollte. Er wollte einen Blankoscheck. Niemals!
    Andererseits, grübelte sie, könnte es böse mit ihr enden, wenn sie den Mordverdacht nicht entkräftete. Es gab Fingerabdrücke. Ermittler liebten Fingerabdrücke. Sie waren ein gerichtsverwertbarer Ersatz für logisches Denken.
    Könnte ich, überlegte Alex weiter, nicht einfach so tun, als würde ich auf das Angebot

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